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Die Tochter der Ketzerin

Die Tochter der Ketzerin

Titel: Die Tochter der Ketzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen Kent
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Brief aus Colchester, Connecticut, 17. November 1752.
    An Mrs. John Wakefield
New London, Connecticut

    Meine liebe Lydia,
    gerade erst habe ich von Deiner Hochzeit erfahren und danke Gott dafür, dass er Dir einen Ehemann geschenkt hat, der Deiner würdig ist und die Mittel besitzt, um eine Familie zu gründen und sie mit allem Nötigen auszustatten. Ich muss Dir ja nicht eigens sagen, mein gutes Kind, dass Du immer die Lieblingsenkelin deiner Großmutter gewesen bist.
    So viele Monate sind seit unserer letzten Begegnung ins Land gegangen, und ich sehne mich sehr danach, bei Dir zu sein und Deine Freude zu teilen. Zu lange schon halten mich meine Gebrechen von meinen geliebten Angehörigen fern, und ich hoffe, dass es mir bald wieder möglich sein wird, zu reisen und Dich zu besuchen. Obwohl ich weiß, dass Du inzwischen eine erwachsene Frau bist, sehe ich Dich noch immer als frisches und lebhaftes zwölfjähriges Mädchen vor mir, das so viel Zeit bei mir verbracht und mir die Last meiner Jahre erleichtert hat. Während Deiner Aufenthalte wehte der Duft grünender Pflanzen durchs Haus und vertrieb den Muff aus den Räumen. Nun bete ich darum, dass wir uns vor meinem Tode noch einmal wiedersehen. Allerdings halte ich derzeit nur noch mit letzter Kraft am Leben fest und habe deshalb das dringende Bedürfnis, Dir etwas zu schenken, das viel wertvoller ist als Teller und Tassen. Ich möchte Dir einen Schatz anvertrauen, der viele Generationen alt ist und die Meere überbrückt, die zwischen hier und der alten Welt liegen.
    Heute ist mein Geburtstag, denn Gott hat mir in seiner Gnade bereits einundsiebzig Lebensjahre gewährt. Selbst in unseren Zeiten wundersamer Erfindungen ist das eine erstaunlich lange Zeit auf Erden. Und es geschehen wirklich wundersame Dinge, mein Kind, die ich sogar kühn als Zauberwerk bezeichnen möchte. Wusstest Du, dass Mr. Benjamin Franklin aus Philadelphia erst im vergangenen Sommer mit seinem Sohn einen seidenen Drachen auf einem Feld steigen ließ und dabei den Blitz vom Himmel geholt hat? Er bezeichnet diese Erscheinung als elektrisches Feuer. Du magst den Kopf über seine Erfindung schütteln, doch ich habe außerdem gehört, dass Mr. Franklin, sobald der Drache flog, einen Schlüssel an die Schnur gebunden hat. Als es blitzte, berührte er dann den Schlüssel mit dem Fingerknöchel und spürte zu seinem Erstaunen, wie das himmlische Feuer ihn durchströmte.
    Allein die Vorstellung, dass ein Mensch so eine wuchtige Naturgewalt steuern kann, erfüllt mich mit Ehrfurcht. Aber noch mehr erstaunt mich, dass wir Erdenbürger offenbar auch die Gabe besitzen, auf den Lauf der Zeit Einfluss zu nehmen. Wie Du sicherlich weißt, haben klügere Menschen, als wir es sind, erst im September dieses Jahres beschlossen, mir nichts, dir nichts elf Tage aus unserem Kalender zu streichen. Was sie dazu bewogen haben mag, ist mir rätselhaft. Ich weiß nur, dass ich am Mittwoch, dem 2. September im Jahr des Herrn 1752, zu Bett gegangen und am Donnerstag, dem 14. September desselben Jahres, wieder aufgestanden bin.
    Diese neue Zeitrechnung bezeichnet man als Gregorianischen Kalender. Der Julianische Kalender ist abgeschafft, obwohl wir, soweit ich im Bilde bin, die Zeit seit Christi Geburt auf diese Weise berechnet haben. Wo, glaubst Du, sind nur die elf Tage geblieben? Da Du noch jung bist, erscheinen Dir solche Dinge vermutlich nicht weiter sonderbar. Doch ich bin in der Vergangenheit verwurzelt, weshalb derartige Veränderungen mir Angst machen. Ich lebe nun schon so lange, dass ich mich an eine Zeit erinnere, in der Neuerungen wie diese als Zauberei und Hexenwerk verfolgt worden wären. Unsere Stadtväter hätten streng über jeden zu Gericht gesessen, der so frech gewesen wäre, dem Himmel ins Handwerk zu pfuschen.
    Jetzt bin ich endlich beim eigentlichen Zweck meines Briefes angelangt. Du kannst unmöglich in diesem Land aufgewachsen sein, ohne je die üblen Gerüchte über das Dorf Salem sowie über mich und meine Eltern aufgeschnappt zu haben. Sicher hast Du aus Liebe zu mir gezögert, mich nach den grausigen Ereignissen meiner Jugend zu fragen. Bis heute erbleichen erwachsene Männer und Frauen vor Furcht, wenn der Name Salem fällt. Wusstest Du, dass der Landrat von Essex County, Massachusetts, erst vor einigen Monaten darüber abgestimmt hat, das Dorf in Denvers umzubenennen? Eine gute Entscheidung, die in aller Stille abgewickelt wurde, auch wenn ich überzeugt bin, dass die Erinnerung an die

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