Die Tochter der Suendenheilerin
Frau gefunden. Endlich konnte er alle Belastungen hinter sich lassen. Nur Karim und Antonia kannten seine Geschichte. Als er Antonia kurz nach ihrer Hochzeit vom Tod seines Bruders erzählt hatte, war ihm das Sprechen nicht mehr ganz so schwergefallen wie zuvor bei Karim.
Antonia hatte ihm aufmerksam zugehört und ihn später tröstend in die Arme genommen. »Du weißt, dass niemand Thomas hätte retten können, nicht wahr?«, hatte sie ihm zugeflüstert. »Er wäre ohnehin gestorben. Du hast ihn nur von seinen Qualen erlöst.« Diese Worte aus ihrem Mund, das Verständnis, die Liebe, die sie ihm trotz seiner Tat entgegenbrachte, hatten die alte Wunde endlich geschlossen. Thomas war tot, aber Stephans Leben ging weiter. Er war sich sicher, dass sein Bruder vom Himmel aus über ihn wachte, wie er es ihm im Sterben versprochen hatte.
Beim Gedanken an Thomas musste er zugleich an Karim denken. Der Abschied von seinem Freund war ihm schwergefallen. Sechs Wochen lag er inzwischen zurück. Mit dem Ende des Sommers endete auch der Besuch, der Stephans Leben für immer verändert hatte.
Es war ein versöhnlicher Ausklang gewesen. Die Fehde mit den Regensteinern war beigelegt, und zum Erstaunen aller hatte Eberhard nichts mehr gegen Rudolf als Schwiegersohn. Er hatte nicht einmal etwas dagegen gehabt, dass Sibyllas und Antonias Hochzeit gemeinsam gefeiert wurde. Allerdings hatte er darauf bestanden, dass die Feierlichkeiten auf Regensteiner Besitz in Halberstadt stattfanden. Der neue Bischof hatte die beiden Trauungen vollzogen.
Graf Ulf von Regenstein hingegen war über den Ausgang des Turniers und Sibyllas Eheschließung so verärgert, dass er sich weigerte, an dem Fest teilzunehmen. Niemand vermisste ihn, nicht einmal seine Frau Irmela, die es sich nicht nehmen ließ, beiden Hochzeiten beizuwohnen.
Nach der Hochzeit hatten die Besucher aus Ägypten Antonia und Stephan nach Burg Thale begleitet und dort einige Wochen verbracht. Sie waren gemeinsam auf die Jagd gegangen und hatten dem Sommer die letzten schönen Tage abgetrotzt. Bis der Herbst ins Land zog und die Zeit zum Abschiednehmen nahte.
»Willst du nicht noch einmal nach Ägypten kommen?«, hatte Karim zum Abschied gefragt. »Du bist mir immer willkommen. Und vielleicht möchtest du auch wissen, wie es Bespina, Amira und Zeki bis dahin ergangen ist.«
»Du wirst sie freikaufen?«
»Ich gab dir mein Wort. Ich werde dir schreiben, sobald sie auf unserem Gut eingetroffen sind. Leb wohl, mein Freund!« Sie hatten sich ein letztes Mal umarmt, dann brachen die Ägypter auf.
Seither war es auf der Burg still geworden.
Während Stephan über die herbstlichen Wälder blickte, bemerkte er eine Gruppe von Reitern, die sich Burg Thale näherten. Noch waren sie zu weit entfernt, um Einzelheiten zu verraten, aber Stephan erkannte sofort den dunkelbraunen Fuchs mit der weißen Mähne und dem weißen Schweif. Rudolfs Pferd. Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Rudolf hatte ihm bereits bei der gemeinsamen Hochzeit angekündigt, dass er sich im Herbst zur Jagd auf Burg Thale einfinden werde.
Schritte. Stephan wandte sich um. Antonia war auf den Wehrgang heraufgestiegen.
»Hier steckst du also!« Sie lächelte ihn liebevoll an. Er legte ihr einen Arm um die Schultern.
»Wir bekommen Besuch«, sagte er dann und wies auf die Reiter.
»Das ist doch Rudolf, oder?«
Stephan nickte.
»Wie schön, dann gibt es wieder Leben in der Burg.«
»Du vermisst sie auch, nicht wahr?«
Antonia nickte. »Vermutlich sind sie gerade in Alexandria angekommen.«
Sie stiegen gemeinsam vom Wehrgang hinab und erwarteten die Besucher im Burghof.
»Ich wünsche euch einen wunderschönen guten Morgen!«, rief Rudolf fröhlich, als er das Burgtor passiert hatte, und sprang aus dem Sattel. Danach half er seiner Frau beim Absteigen. »Ich habe es dir angedroht – dein Jagdrevier zieht mich an wie die Küchenabfälle einen ausgehungerten Hund.«
»Welch poetischer Vergleich!«, bemerkte Stephan kopfschüttelnd. »Ihr seid selbstverständlich herzlich willkommen.«
»Wir haben euch etwas mitgebracht.« Rudolf gab einem seiner Waffenknechte ein Zeichen, und der hob einen Korb vom Packpferd.
»Hier, sieh nur! Sind sie nicht entzückend?«
Rudolf öffnete den Deckel und gab den Blick auf zwei Hundewelpen frei. Mit ihrem braunen Fell, den Schlappohren und dem treuherzigen Blick hätte man sie für Bracken halten können. Dafür aber waren sie zu klein, und ihre Körper wirkten seltsam
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