Die Tochter des Fälschers
auf dem Schooß verschlungen. Im Zimmer nebenan rückte zuweilen die alte Frau ihren Lehnsessel und schürte im Ofen. Sonst blieb Alles still.
„So soll ich denn einsam bleiben, eine verlassene Waise!“ sagte sich Amanda. „In dieser Stunde schlagen Millionen Herzen in Lieb’ und Freude, mein aber gedenkt Niemand außer Einem. Und diesem ist die Erinnerung an mich Kummer und Pein. Ach, wär’ ich von je an des Lebens Ernst gewöhnt! Die Welt erschien mir früher so rosig und freudevoll. Nun ist das Traumgold ausgegeben, und wie ein Märchen däucht es mir, daß ich einst fröhlich war. In dieser unermeßlichen Welt von aller Welt verlassen – – Nur nicht von Dir, o Gott,“ sagte sie dann und blickte zum gestirnten Himmel auf. „Du siehst meinen Schmerz, meine Reue. Da ich Alles verloren, gewinne ich Dich!“
Langsam ließ sie sich auf die Kniee nieder und betete.
Nennt das Gebet Wunsch, Gewohnheit, Aberglauben: Eines ist es für das Weib und den Armen –
Trost
!
8.
Vier Monate später saß Doctor Michaelis in einer eleganten Villa der Residenz als Gast beim Dejeuner. An seiner Seite hatte die Dame, ihm gegenüber der Herr des Hauses, General von M…, Platz genommen. Die reiche Ausstattung des Zimmers, das silberne Tafelzeug verriethen Geschmack und Wohlstand. Die Glasthüre, welche zum Garten führte, stand offen und ließ die duftgetränkte Frühlingsluft herein, denn laue, sonnige Tage hatten im angrenzenden königlichen Park überall Knospen und Grün hervorgelockt.
Der Arzt saß theeschlürfend im Sammtfauteuil, unbeengt durch die kalte Majestät der Baronin. Ihm war der General vom Fürstenschloß her ein alter, lieber Bekannter, dessen geraden Sinn in rauher Form er wohl zu schätzen wußte. Eines nur störte ihn in seiner Behaglichkeit. Seit seiner Anwesenheit übten in der Wohnung über ihnen offenbar Schülerhände ein und dasselbe Clavierstück.
„Hätt’ ich doch nimmer geglaubt,“ sagte der General, „daß Sie sich von Ihrem lieben Schlesien trennen und nach der Residenz ziehen würden!“
„Vor zwei Jahren noch,“ erwiderte Michaelis, „dachte ich auch nicht daran, meine Stellung zu verlassen. Allein der Neffe des Fürsten, der Majoratserbe, der von seinen Reisen zurückgekehrt ist, hat seinen eigenen Medicus mitgebracht. Zwei Aerzte auf dem kleinen Flecken Erde sind zu viel. Weil aber mein Rivale jung, geschickt und arm ist, entschloß ich mich, ihm das Feld zu räumen, empfahl ihn meinem guten Herrn und erbat für mich selbst den Abschied. Gestern am frühen Morgen sagte ich dem Fürstenpaar das letzte Lebewohl – ich gestehe, mit schwerem Herzen.“
„Dann sind Sie also gestern erst angekommen?“
„Ja, gestern Abends.“
„Und Sie fühlen kein Heimweh nach Ihrer Schloßeinsamkeit?“ fragte die Baronin mit ihrer harten, unmelodischen Stimme.
„Im Gegentheil, gnädige Frau,“ antwortete der Doctor. „Das rauschende Leben der großen Stadt erfrischt mich wie ein kaltes Bad.“
„ Vraiment! Aber nach Allem, was mir der General vom Fürstenschloß erzählte, muß Ihr Aufenthalt dort unendlich poetisch gewesen sein. Die Stille des Landes, die patriarchalischen Sitten müssen Sie doch hier schmerzlich vermissen! Ich denk’ es mir himmlisch, auf immer vom Wagengerassel, Rauch, von Politik und andern Horreurs der Hauptstadt befreit, unter einfachen Menschen ungezwungen wie die Vöglein leben zu können.“
Die wasserblauen Augen der Generalin starrten, während sie sprach, entsetzlich kalt und nüchtern gegen die Zimmerdecke.
„Entschuldigen Sie, meine Gnädigste,“ entgegnete der Arzt, „wenn ich Ihre Romantik nicht theile. Nirgends, glaube ich, sind wir weniger einsam und unbeschränkt, als in kleinen Landstädten, auf Dörfern und Schlössern.“
„ Vouz m’étonntez! “
„Zugestanden!“ rief der General, „zugestanden, lieber Doctor, ich kenne das Landleben aus meinen Garnisonerinnerungen! Schrecklich langweilig! die Jagdsaison ausgenommen, schauderhaft langweilig!“
„Ich gebe mich dem großartigen Wechsel ganz und gerne hin,“ fuhr Michaelis fort. „Die Tausende, die an mir vorüberziehen, kennen mich eben so wenig, als ich von ihnen weiß; ihre Begegnung erregt mir nicht sofort eine Reihe unbeqemer Gedanken an ihren Charakter, ihre Geschäfte und häusliche Noth. Doch im großen Ganzen sehe ich die schöne Wirkung dieser verschiedenen Kräfte und fühle wieder nach langer Zeit, daß die Welt vorwärts schreitet. Der feine Rauch in den Straßen
Weitere Kostenlose Bücher