Die Tochter des Ketzers
ehren.
»Du weißt, warum ich nach Rom gekommen bin«, sprach Quintillus, »ruhig waren die Jahre nach Decius’ Tod, aber man sagt ...«
Er sprach es nicht aus, aber Krëusa ahnte, was er meinte. Kaiser Valerian hat erst vor kurzem Zusammenkünfte der Christen unter Todesstrafe verboten.
Nach Gaetanus’ Tod hatte die reiche Patrizierin Fabia Placida Krëusa aufgenommen, getreulich der Lehre, dass in der christlichen Gemeinde die Wohlhabenden und die Bedürftigen gleich Ulme und Weinstock einander Stütze sein sollten, und jene war geschwätzig genug, um die Geschichten, die Krëusa von Julia erzählte, in der ganzen römischen Gemeinde zu verbreiten. Manchmal wusste Krëusa nicht, wie viel von diesen Geschichten wahr war, wie viel davon sie tatsächlich erlebt hatte. Manchmal fiel es ihr auch schwer, sich an anderes zu erinnern als an Julias sehnige Arme und ihre schrille Stimme, die der eines Marktweibes glich.
»Nun, ich bin also hierher nach Rom gekommen«, fuhr Quintillus fort, »um hier zu tun, was ich in Corsica versäumt habe ... eine Gemeinde zu stärken, ihren Zusammenhalt zu fördern ...«
Krëusa sah ihn zweifelnd an, sagte aber nichts. Sie hatte manchmal den Eindruck, Quintillus suche das Martyrium, das er einst versäumt hatte, und litt daran, dass sein Körper schwächer und schwächer werdend einem ruhigen Tod entgegenging, der ihm kein letztes Zeugnis abringen würde.
»Ich weiß nicht, ob ich in Rom bleiben werde«, sagte Krëusa. »Fabia Placidas Mann wird in die Gallia Transpadana versetzt. Wir werden in Brixia leben.«
»Vielleicht ist es besser ... sicherer als hier«, murmelte Quintillus. »Du solltest schlafen.«
Krëusa nickte.
Sie wusste nicht, ob sie für ihren Gott geradestehen würde, verlangte man von ihr ein Zeichen der Glaubensstärke. Nein, gerade wie sie da saß, so war sie sich sicher, dass sie für Julias Glauben nicht sterben würde. Aber es hatte ihr ein wenig Frieden geschenkt, dafür zu leben, ein wenig Halt, ein wenig Ordnung. Es hatte ihr Julias Welt geöffnet – in der das Gute sich stark zeigte, wiewohl sich das Böse zusammenrottete, um es zu zerstören, in der es eine klare Unterscheidung zwischen Ersterem und Letzterem gab.
Sie lehnte sich zurück, schloss die Augen, aberfolgte seinem Rat zu schlafen nicht – noch nicht.
»Ich habe das, was an Julia erinnert, stets bewahrt ... viel- leicht wäre es richtig, es dieser Gemeinde zu überlassen«, murmelte Krëusa. »Ich bin zumindest mit diesem Vorhaben hergekommen. Aber jetzt – ich weiß nicht, ob ich es fertigbringe. Nein, ich kann es nicht. Ihr Vermächtnis ist das Kostbarste und Teuerste, was ich je besessen habe. Ich werde es mit in den Norden nehmen. Ich ... ich brauche es noch ...«
Historische Anmerkung von Julia Kröhn
Als ich vor zwei Jahren Urlaub auf der Insel Korsika machte, führte mich eine Fahrt rund ums Cap Corse zu der Ortschaft Nonza und zur dortigen Kirche Sainte-Julie. Obwohl ich die Legende bereits kannte, die sich um meine Namenspatronin rankte, war es beeindruckend, eine Kirche zu betreten und anstelle des gekreuzigten Christus eine gekreuzigte Frau zu sehen. Damals reifte in mir zum ersten Mal die Idee, ihre Geschichte in einem meiner Romane aufzugreifen.
Freilich: Julia von Korsika ist eine Heilige (ihr Gedenktag wird am 22. Mai gefeiert) und keine fassbare historische Persönlichkeit. Man kann höchstens von ihrer Legende bzw. ihrer Erwähnung in den »Martyrologien« (der Auflistung von Märtyrern) Rückschlüsse auf ihr Leben ziehen, nicht aber aufgrund überprüfbarer Fakten. Und gerade der Blick auf die Legende zeigt, wie schwierig es ist, eine »wahre« Julia von Korsika aufzuspüren – scheint es doch mehrere zu geben.
Eine dieser Geschichten spielt im 7. Jahrhundert und erzählt von einer adeligen Christin, die nach dem Einfall der Vandalen im Jahr 616 an den heidnischen syrischen Kaufmann Eusebius verkauft worden ist. Als das Sklavenschiff auf Korsika landete und dort ein heidnisches Fest im Gange war, lehnte Julia die Teilnahme ab, woraufhin Felix, der Gouverneur der Insel, erkannte, dass sie Christin war, ihr die Freilassung aus der Skla- verei anbot, wenn sie zur Verehrung der Götter bereit wäre, sie jedoch foltern und kreuzigen ließ, als sie ablehnte. Die Legende berichtet weiter, dass nach der Kreuzigung die Seele in Gestalt einer Taube ihrem Körper entstieg.
Eine andere Möglichkeit ist, dass Julia etwas später gelebt hat und demnach auf Korsika von
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