Die Versteckte Stadt: Thriller
1
Heute
Es ist, als ob eine schwarze Leinwand aufplatzen und darunter ein Schwall roten Gelees hervorbrechen würde. Dann ist Till wieder da.
Er starrt an die Betondecke über ihm.
Das Schnattern der Stimmen.
Felix’ Gesicht taucht in seinem Blickfeld auf.
Till reißt sich hoch.
Felix sperrt die Augen auf und weicht zurück. „Was ist, Till? Geht’s jetzt los?“
Tills Blick gleitet an seinem Körper herab. Er ist nackt, die Decke ist auf den Boden gerutscht.
Die Wellen reiten über seinen Leib hinweg.
„Was denkst du, Till? Gefällt‘s dir?“
Erst jetzt sieht Till den groben Faden, der sich durch seine Haut, sein Fleisch schlängelt. Deshalb brennen seine Beine, seine Arme! Der Faden hält seine beiden Schenkel zusammen, sein Unterarm ist an seine Hüfte genäht, seine beiden Oberarme an seine Brust! Wenn er sich bewegt, glüht sein ganzer Körper auf, als hätte man ihn in eine Steckdose gesteckt. Und zugleich wird das Gefühl der Beengung immer unerträglicher, immer rasender der Drang, das Korsett aufzusprengen, das sie ihm aus seinem eigenen Fleisch genäht haben.
„Wir haben alles sterilisiert, Till, wirklich.“ Felix öffnet den Mund wie Kermit, ohne dass ein Lachen zu hören ist. Er macht einen Satz nach vorn, ergreift Tills Hand, die hilflos vom angenähten Arm am Oberschenkel herabhängt. Schüttelt sie. „Siehst du. Da ist noch Gefühl drin.“ Er zuckt scheinbar erschrocken zusammen. „Oder?“
Till schreit. Die Kraft scheint sich direkt aus seiner Wirbelsäule heraus zu entwickeln. Dann reißt er. Erst hakt es - er spürt, wie sich sein Fleisch dehnt - zugleich überspült ihn eiskalte Wut. Es ruckt, der Riss scheint mitten durch ihn hindurchzugehen. Heiß fühlt er sein Blut an seiner Seite herunterrinnen.
„BRAVO!“ Felix klatscht, Till sieht, wie die Dunkelgestalten in dem Raum sich um ihn drängen.
„Er hat ihn abbekommen“, ruft Felix und wendet sich wie ein Conférencier an die Nachtwesen, die ihn umgeben. „Bravo Till, ich wusste, dass du dich nicht unterkriegen lassen würdest!“
Aber da hört Till Felix’ Stimme nur noch leise, wie gedämpft, durch einen Schleier hindurch. Alles geschieht wie verlangsamt, wie beschwert, wie entrückt. Er spannt seinen linken Arm an. Stößt den Ellbogen nach hinten. Die Naht platzt auf, das Blut fließt an seiner Seite herab. Er wirft sich nach hinten auf die Matratze, zieht die zusammengenähten Beine an den Bauch - SCHREIT - und reißt sie auseinander. Für einen Moment glaubt er, das Bewusstsein zu verlieren. Der Schmerz ist so gewaltig, so real, so körperlich, als würde ein Gebirge auf ihn herabstürzen. Dann schwingen seine Beine frei durch die Luft. Er rollt von der Matratze herunter, sieht die Gestalten von ihm wegdrängen - und richtet sich tropfend, taumelnd, schreiend neben dem Bett auf.
Es ist nicht zu verstehen, was er brüllt, es ist ein Schrei, mit dem er die Ohnmacht von sich abhalten will, während er spürt, wie das Blut aus ihm herausläuft.
Schemenhaft sieht er den Mann mit dem verbreiterten Mund an seine Seite treten, ihm eine Spritze in den Oberschenkel rammen - ein feines Pieken, das sich von der Schmerzwand, die ihn durchzieht, gerade noch abhebt.
„Ein bisschen Adrenalin, Till, das wolltest du doch, oder?“ Felix hat die Unterlippe nach innen gerollt.
Wieder sticht die Spritze in Tills Schenkel, er fühlt, wie das Hormon in seinen Körper gedrückt wird.
2
Ist es Frederik - der die Wohnung doch noch nicht verlassen hat?
Claire wagt es nicht, seinen Namen zu rufen.
Denn wenn es Butz ist -
Wie kann er …
Ihre Gedanken wirbeln durcheinander. Hat er doch etwas bemerkt - ist es seine Art, sie zur Rede zu stellen?
Sie fühlt die Hand des Mannes, der hinter sie getreten ist, der ihren Nacken gepackt hat und sie nach vorn über den Schreibtisch drückt - da berührt seine andere Hand sie zwischen den entblößten Schenkeln, drängt nach oben -
Sie reißt sich los. Fährt herum.
Es ist Butz. Sie kann sehen, wie die Erregung ihn in der Gewalt hat.
‚Was fällt dir ein!‘, will sie ihn anschreien - aber … weiß er etwas - oder nichts?
Sein Kopf neigt sich nach vorn, seine Hände schieben den Morgenmantel auf, drücken sie auf den Schreibtisch.
Ohne es zu wollen, entfährt ihr ein Keuchen - Claire spürt, dass es klingt wie ein Stöhnen - und merkt, dass er nicht mehr zu halten ist.
Seine Hände gleiten ihre Arme entlang, strecken sie über ihren Kopf nach oben
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