Die Tochter des Münzmeisters
Henrika als sein Eheweib vorgestellt, was den anfangs misstrauischen Bauern beruhigte und in Henrika einen Wirbel an Gefühlen verursachte, worüber sie sich aufgrund der sonst so distanzierten Haltung des Ritters mehr als ärgerte. Ihre Wut sollte sich jedoch noch steigern.
»Ich habe keinen Hunger, esst ruhig«, erwiderte Randolf und verzog schmerzhaft das Gesicht, als er sich nach dem Beutel mit Wasser streckte. Seit Guntram sie verlassen hatte, weigerte er sich beharrlich, seine Wunden von Henrika begutachten zu lassen.
»Dann geben wir es eben dem Tier, ich bin nämlich auch nicht mehr hungrig«, erwiderte Henrika trotzig und wollte den Kanten der trächtigen Sau zuwerfen, mit der sie den Verschlag teilten. Ein ergebenes Seufzen Randolfs hielt sie zurück, und während er gemächlich kaute, unternahm Henrika einen neuen Versuch.
»Wenn Ihr mich nicht auf Eure Wunden sehen lasst, dann entzünden sie sich neu! Ich bin sicher, dass ich manche Stellen mit der restlichen Tinktur abtupfen sollte«, mahnte sie und hielt seinem zweifelnden Blick ruhig stand.
»Ich denke nicht, dass dies ein guter Vorschlag ist. Morgen werden wir das Lager erreichen, dann lasse ich danach sehen«, lehnte Randolf nach kurzer Überlegung ab.
»Ich verstehe Euch nicht! Wovor habt Ihr Angst? Glaubt Ihr etwa, ich dränge drauf, die Wunden an Eurem Oberkörper zu verarzten, weil ich Euch anschließend verführen möchte?«, fauchte Henrika, erhob sich wütend und ging zu der Ecke, in der das Stroh nicht ganz so verdreckt war. Sie war von seinem abweisenden Verhalten unendlich verletzt und konnte es nicht verstehen.
»Wartet!«
Mit angehaltenem Atem lauschte Henrika Randolfs Schritten, bis er schließlich dicht hinter ihr stehen blieb. »Ich zweifle mehr an der mangelnden Standhaftigkeit meines Willens, als befürchten zu müssen, von Euch verführt zu werden.«
Empört fuhr Henrika herum und funkelte ihn wütend an. »Sollte dem wirklich so sein, so gelingt es Euch bemerkenswert gut, Eure Gefühle zu verbergen!«, fauchte sie, während sie die Hände in die Taille stemmte, die in den letzten zwei Wochen merklich dünner geworden war. »Ich würde vielmehr an Eurem festen Willen als Letztes zweifeln, denn niemand ist so unglaublich konsequent wie Ihr!«
»Das ist ja nicht zu fassen!«, schnaubte Randolf, nun ebenfalls nur noch mühsam beherrscht. »Ihr bezeichnet mich als unbeirrbar, obwohl ich seit unserem Wiedersehen auf dem Hof Eures Onkels ständig mit meinen Gefühlen ringe? Wo war meine Beharrlichkeit, als wir uns geküsst haben?«
Henrika hatte das Gefühl, platzen zu müssen. Sie hatten so viel zusammen durchgemacht! Und obwohl das schlechte Gewissen Betlindis gegenüber sie stärker plagte denn je, hatte sie Randolf in den Stunden nach seiner Rettung aus dem Kerker ihre Gefühle deutlich offenbart. Sie konnte sich zwar gut vorstellen, dassauch er unter seiner ehelichen Untreue litt, selbst wenn es sich nur um zwei Küsse gehandelt hatte, doch den Gedanken schob sie gleich wieder zur Seite. Immerhin ging es nicht darum, nebeneinanderzuliegen, sondern einzig und allein die kostbaren Stunden der Vertrautheit zu bewahren, die sie aller Wahrscheinlichkeit nie wieder bekommen würden.
Wutschnaubend drehte sie sich um und bückte sich, um das Stroh für ihr Nachtlager auseinanderzurupfen, als er sie plötzlich am Handgelenk packte, herumriss und küsste.
Die Berührung war keineswegs zärtlich, sondern hart und fordernd, und als Henrika versuchte, sich aus der Umarmung zu befreien, drückte Randolf sie mit dem Rücken kurzerhand gegen die dünne Außenwand des Verschlags, die bedenklich knarrte. Schließlich gab sie ihren Widerstand auf – nicht weil sie keine Kraft mehr hatte, sondern weil sie einfach nicht mehr gegen ihre lodernden Gefühle ankam und es wohl auch nicht länger wollte.
Randolf hatte ihren Körper so eng an seinen gepresst, dass sie sich kaum rühren konnte, und vermittelte ihr das Gefühl, als wollte er sie nie wieder loslassen. Als Henrika den Kuss genauso leidenschaftlich erwiderte, lockerte er seinen Griff und zog sie noch enger an sich. Mit einer Hand strich er ihr sanft über den Rücken, während er ihr mit der anderen in die offenen Haare griff. Als er ihren Mund freigab und mit den Lippen über ihren nach hinten gebogenen Hals fuhr, stöhnte Henrika unwillkürlich auf. Alles um sie herum verschwand in einem Strudel völlig überwältigender Gefühle, die sie in ihrem Sog mitrissen.
Völlig unerwartet
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