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Die Tochter des stählernen Drachen

Die Tochter des stählernen Drachen

Titel: Die Tochter des stählernen Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Swanwick
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Bellegardes Keller weitergezogen. Jane wußte dies, obgleich sie nicht wußte, wieso sie es wußte. Es war ein Wissen, das tief aus dem Innern hervorquoll. Und sie wußte, daß sie lediglich blindlings dahingehen mußte, ohne sonderlich darauf zu achten, wohin die Füße sie trugen, und ihre ziellosen Schritte würden sie direkt zum Drachen bringen. Er lag im verborgenen Innern ihres Bewußtseins auf der Lauer. Sie spürte ihn dort, und ihre Gedanken wanderten immer wieder dorthin zurück wie eine Zunge, die widerstrebend, aber zwanghaft zu einem losen Zahn zurückkehrte.
    Er war wieder der ihre, wie er es zuvor gewesen war. Diesmal wußte sie, daß sie in dieser Welt niemals wieder frei voneinander wären.

    Sie fand den Drachen in Termagant, vierzehn Stockwerke unterhalb der Spitze. Es war eine außerordentlich feine Umgebung, und schon als sie im Aufzug hochfuhr, wurde sie mit einigen merkwürdigen Blicken bedacht. Nicht, daß es ihr etwas ausgemacht hätte.
    Nach der halben Strecke durch einen stillen und unnatürlich sauberen Korridor blieben ihre Füße stehen. Auf der Messingplatte an der Tür stand 7332. Sie öffnete sich auf ihre Berührung hin.
    Große Zimmer, beigefarbene Wände. Die Lampen an den Lichtschienen erzeugten Muster unterschiedlicher Helligkeit auf dem schimmernden Hartholzboden. Durch einen Bogengang sah sie die Küche, die anscheinend ausschließlich aus einem Schlachtblock und verschiedenen Einbaugeräten bestand. Alles war frisch gestrichen. Es gab kein Mobiliar.
    »Hallo?«
    Nur ein dumpfes Echo antwortete ihr.
    Jane ließ die Tür hinter sich zuklicken. Sie trat in das, was das Wohnzimmer sein mußte. Nach dieser Logik war der fast gleich große Raum dahinter sicherlich das Schlafzimmer. Jane ging durch die mit Schnitzereien verzierten Flügeltüren. Dort fand sie den Drachen.
    Melanchthon wartete schweigend und grinsend, eine Mauer aus schwarzem Eisen, die sich über die Grenzen des Raums hinaus erstreckte. Sie machte sich klar, daß er den größten Teil dieses und die Hälfte des darüberliegenden Stockwerks füllte. Ihm diesen Platz zu schaffen, mußte an sich schon eine unglaublich zerstörerische Wirkung gehabt haben. Die Reparatur und Renovierung der Wohnungen ringsum durchzuführen, ohne die Lords der Stadt aufzuschrecken, war ein Trick, der dem großen Geschick des Drachen würdig war.
    Die Kabine war dem Zimmer zugekehrt, ein metallischer Kreis genau in der Mitte der Wand. Jane kletterte die Sprossen hinauf und zog die Lukenverriegelung nach unten. Die Tür schwang auf.
    »Keine Spielchen«, sagte sie. Das Innere war warm und in ein weiches Licht getaucht. Die Pilotenliege erwartete sie. »Keine Lügen, keine Gemeinheiten, keine Ausflüchte.« Sie setzte sich hinein, wie sie es so viele Male zuvor getan hatte. »Ich bin hergekommen, um mit dir einen Handel abzuschließen. Wenn du dich aufspielst, gehe ich sofort.« Die Panoramascheibe schloß sich ihr um den Kopf. Alles wurde schwarz. Sie sprach in eine unendliche Leere hinein. »Du bekommst nur diese eine Chance.«
    Keine Antwort.
    Sie schloß die Hände um die Griffe. Von hier an gab es kein Zurück mehr. Die Gummipolster waren trocken und hart. Sie drehte krampfhaft daran. Die Nadeln stachen ihr in die Handgelenke.
    Die Dunkelheit ringsumher wurde intensiver, nahm Tiefe und Struktur an, die ihr zuvor gefehlt hatten. Ansonsten geschah nichts. Jane wartete. Sie war jetzt alt genug, um zu begreifen, daß Melanchthon tatsächlich auf diese Weise mit ihr kommunizierte. Sein Schweigen sagte mehr als jegliche Worte, die er gewählt haben mochte. Er sprach zu ihr von Schwäche und Stärke, von ihrer Hilflosigkeit im Vergleich zu seiner Macht. Er sagte, daß die Gefühle, die sie einander gegenüber hegten, sich nicht verändert hätten.
    Gurgelnd wurde flüssiges Freon von einem Teil des Drachen in einen anderen Teil gepumpt.
    Jane rutschte auf der Liege hin und her. Die Kabine kam ihr schrecklich eng vor. Überall hing der Geruch nach Eisen in der Luft. Sie seufzte und kratzte sich mit dem Kinn eine juckende Stelle an der Schulter, und ein Lichtfunke wurde innerhalb der Panoramascheibe geboren. Er war so bleich wie ein Glühwürmchen und klein wie eine Staubmotte.
    Ein Stern.
    Ohne großes Aufhebens tauchte ein zweiter Stern auf und dann ein vierter, und immer mehr, bis Milliarden von Sonnen zu Galaxien und Nebeln angeordnet waren, die ihrerseits Bestandteile noch gewaltigerer Strukturen waren. Jane stand anscheinend irgendwo neben

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