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Die Tochter des stählernen Drachen

Die Tochter des stählernen Drachen

Titel: Die Tochter des stählernen Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Swanwick
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gemacht. So umfassend wird die Zerstörung sein, daß sogar die Vergangenheit sterben wird. Es ist ein Aussterben über den Tod hinaus, den wir suchen. Obgleich die Zeitalter sich leer und vernichtet in die Unendlichkeit und darüber hinaus erstrecken, wird sich niemand an uns erinnern, noch wird uns jemand betrauern. Unsere Freude, unser Leid, unser Kampf - nichts davon wird je gewesen sein.
    Und selbst wenn ein neues Universum kommt, wird es nichts von uns wissen.«
    So allumfassend war die nihilistische Vision des Drachen, daß es Jane zunächst die Sprache verschlagen hatte. Er machte sie zu einer Trivialität, einem lächerlichen Gequietsche im Getriebe der Zeit. Nach und nach hatte Melanchthon seine äußeren Sinne abgeschottet, und Jane trieb jetzt in der Leere; die Ohren zugestopft mit Stille, die Augen blind, Mund und Kehle gelähmt. Es gab nur seine Stimme und anschließend den Nachhall, den sie in der Stille zurückließ.
    Dann gab es nichts mehr.
    »Also gut.« Jane holte tief Atem. Sie fühlte sich kalt und hart wie ein Stein. »Also gut. Vorausgesetzt, wir verstehen einander.«

20

    Zwei Zwerge, einer rot und einer schwarz, kämpften verbissen auf dem Balkon. Die Körper waren glitschig vor Schweiß, und ihre Messer blitzten im Licht der Scheinwerfer. Mit den Füßen traten sie Wolken von Sägespänen los, die man über die Platten gestreut hatte und die das Blut aufsaugen sollten. Beide waren nackt.
    Jane sah vom Dachgarten aus zu. Sie hatte ihr Getränk auf der Balustrade abgestellt.
    Lauernd wie Skorpione umkreisten sich die Zwerge und suchten nach einer ungedeckten Stelle. Plötzlich holte einer der beiden heftig aus und stolperte - ein unglaublicher Fehler für einen Kämpfer seiner Güte. Der zweite Zwerg führte einen Scheinangriff durch, wie um den Fehler auszunutzen. Aber der erste Zwerg benutzte einen steif ausgestreckten Arm als Drehachse, fuhr herum und wollte ihn mit einer Beinschere von den Füßen holen, doch da war sein Gegner schon längst wieder außer Reichweite. Mit einem Aufschrei stürzte sich der zweite Zwerg auf den ersten. Letzterem gelang es, den Hieb abzublocken, wenn auch auf Kosten eines Fingers. Zum Glück traf es keinen Finger der Messerhand.
    Auf dem Balkon wimmelte es von Partygästen. Jane war nicht die einzige, die von oben zuschaute, aber die Brüstung war längst nicht überfüllt. Die echten Fans wollten so nahe dabeistehen, daß sie die Streiter grunzen hörten und ihre Wut und Angst rochen.
    Es war ein entsetzlicher Sport. Jane verstand seine Anziehungskraft nicht im geringsten. Aber die Zuschauer, nun ja ... sie nagte an der Lippe. Sie hatte Melanchthon Brennstoff versprochen; fast jeder der Zuschauer käme in Frage. Wen nehmen?
    Sie griff nach ihrem Getränk, da hoben sich ihr die Härchen im Genick, auf dem Armrücken sowie an der Innenseite der Oberschenkel. Es war ein elektrisch knisterndes Gefühl, wie man es hat, wenn man jäh einen Tausendfüßler bemerkt, der einem das Bein herabkrabbelt. Galiagante näherte sich.
    Jane wartete, bis er sie fast erreicht hatte. Dann drehte sie sich um, wie es ihr die Flirt-Trainer beigebracht hatten: Die Lippen teilten sich zur gleichen Zeit, wie sich eine Braue ganz leicht hob und beide Augen sich auf eine Weise weiteten, die untergründig spöttisch und zugleich herausfordernd war. Zusammengenommen besagte der Ausdruck: Mal sehen, was du so zu bieten hast!
    Galiagante war nicht beeindruckt. »Du solltest dich unter die Leute mischen.« Hier und da standen Fackeln an den Ufern des künstlichen Stroms. Vor dem Fackelschein sah er aus wie einer seiner wilden Vorfahren. Es war wie eine Erinnerung an die Zeit, da man seine Art nicht beschwören konnte, ohne in der einen oder andern Form dafür einen Blutzoll entrichten zu müssen. Jane lehnte sich an die Brüstung und täuschte Lässigkeit vor.
    Niemals sich entschuldigen. Das hatte man ihr als allererstes beigebracht. »Ich mische mich unter die Leute.« Sie hob das Glas und sah ihn über den Rand hinweg an. »Ich mische mich unter die Leute und präsentiere meine Kleidung.« Sie wandte sich ab, setzte sich und stellte einen hochhackigen Stiefel so auf die Brüstung neben sich, daß ihre schwarze Lederhose vorteilhaft zur Geltung kam. »Und sowohl sie als auch ich sind sehr beliebt gewesen, darf ich hinzufügen.«
    Sie beugte sich vor, so daß die leicht geöffnete Jacke aufklaffte und das wahrlich überwältigende Dekolleté zeigte, das sich wie von selbst ergab: der

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