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Die Tochter des stählernen Drachen

Die Tochter des stählernen Drachen

Titel: Die Tochter des stählernen Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Swanwick
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der Schöpfung und beobachtete leidenschaftslos, wie alles auf die Nichtexistenz zuschrumpfte. Vielleicht enteilte sie ihrerseits jedoch allem mit unvorstellbarer Geschwindigkeit und stetig wachsender Beschleunigung. Bis schließlich alle Sterne und die sie begleitenden Welten zu einer einzigen Struktur verschmolzen, deren Aussehen sie mit dem Bewußtsein erfassen konnte.
    Da sah Jane das Universum als Ganzes. Der gesamte Raum und die gesamte Zeit waren von der Gewalt der Gravitation zu einer sattelförmigen festen Form zusammengezogen worden. Melanchthon drehte den Anblick durch höhere Dimensionen, so daß das Universum auf sich selbst zurückfiel und von der Komplexität eines Sattels zu einem neundimensionalen Schmetterling und schließlich zu einem n-dimensionalen Zikkurat anwuchs. Sie war die Summe der Sinnlosigkeit, denn die Zikkurat war alles, was war. Sie hatte kein Außen, kein Jenseits. Es war nicht so, daß es außerhalb der Zikkurat nichts gab, sondern daß ein ›Außerhalb‹ nicht existierte und nicht existieren konnte.
    Während sie die strahlende Involution anstarrte, ging Jane auf, daß dies das exakte Modell ihres Lebens war. Sie war in einem ansteigenden spiralförmigen Labyrinth gefangen, ging um eine Ecke und traf immer wieder auf vertraute Orte, wo sie nie zuvor gewesen war, und kehrte immer wieder zu Katastrophen zurück, die sie rückblickend hätte kommen sehen müssen. Sie schritt in immer enger werdenden Kreisen, mit immer weniger Wahlmöglichkeiten, welchen Weg sie einschlagen sollte, bis sie schließlich nach einer letzten Kurve oder einem letzten Knick am Endpunkt ankäme. Unbeweglich, ohne Möglichkeiten, ohne Richtung, ohne Zukunft, ohne Ausgang.
    Endlich war deutlich, wie gründlich, wie erbarmungslos sie gefangen war. Alles was sie versuchte - Gaunerei, Mitleid, Untätigkeit, Geduld, Erbarmungslosigkeit - führte unausweichlich zu einem Fehlschlag. Weil die Dinge einfach so waren. So wurde das Spiel manipuliert.
    Die Sterne waren zu etwas Festem verschmolzen. Das Universum brannte vor Janes Augen wie eine ungeheuerliche weiße Seemuschel. Nicht zum erstenmal blickte sie auf diese Form. Ihr wurde übel, als sie sie jäh wiedererkannte und sie benennen konnte.
    Jane sah auf das Spiralschloß und verzweifelte.
    Melanchthon mußte genau hierauf gewartet haben, denn jetzt ergriff er endlich das Wort. Mit überraschend sanfter Stimme sagte er: »In den Riphäen leben noch immer wilde Trolle, deren primitive Stämme vor der modernen Kultur geschützt in ausgedehnten Reservaten leben. Es sind brutale Wesen, die ein einfaches Leben führen. Ihre Männchen sind die personifizierte Wildheit, doch der ansonsten bewundernswerte Charakter ihrer Weibchen ist getrübt von einer unerklärlichen Liebe zur Schönheit.
    In Kenntnis dieser Schwäche lassen Jäger Mondsteine an den Bergpfaden liegen. Ein Tag geht dahin, eine Woche, und dann schlendert ein Trollweibchen harmlos vorüber. Es sieht im Staub etwas schimmern. Es bleibt stehen. Es ist von dem feinen Zusammenspiel der Farben gefangen. Es will wegschauen, kann es jedoch nicht. Es will den Nippes aufheben, aber es fürchtet sich näher zu kommen. Stunden verstreichen, und seine Kraft schwindet dahin. Es sinkt vor dem Mondstein in die Knie. Es ist hilflos, außerstande wegzusehen, selbst wenn es den näherkommenden Schritt der Jäger vernimmt.
    Was die ganze Sache zum Jagdsport macht und nicht zur bloßen Schlächterei, ist die Tatsache, daß es zwei Arten von Trollen gibt, die sich äußerlich nicht voneinander unterscheiden. Ein Weibchen der ersten Art wird sterben, während es die Augen auf den Mondstein gerichtet hält. Ah, aber bei der zweiten Art ist die Kraft des Hasses der Liebe zur Schönheit überlegen. Dieses Trollweibchen wird sich mit den eigenen Händen die Augen ausreißen, um sich von der Tyrannei des Steins zu befreien. Dann könnte es blind zu den Höhlen seiner Geburt entfliehen. Statt dessen jedoch hockt es regungslos da, so lange es eben währt, und seien es Tage. Es erwartet den, der die Falle aufgestellt hat. Es weiß, daß es sterben wird. Aber es ist dazu entschlossen, wenigstens einen der Jäger mit in den Tod zu nehmen.
    Weswegen man sich einem gefangenen Trollweibchen niemals allein, sondern stets in der Begleitung eines Freundes nähern sollte. Eines Freundes, dem nicht klar ist, daß er ein wenig langsamer ist als man selbst.«
    Lange Zeit sprach der Drache kein Wort. Die Luft in der Kabine war frisch; die

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