Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Tochter des Tuchhandlers

Titel: Die Tochter des Tuchhandlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilken Constanze
Vom Netzwerk:
gab es keine Worte des Trostes.
    Simon kam herein. »Da ist jemand wegen eines Schuldzettels.«
    Â»Jetzt nicht, Simon. Ich bin für niemanden zu sprechen«, wehrte Tuveh ab.
    Nachdem Tomeo sich vom ersten Schreck erholt hatte, wischte er sich über das Gesicht, trank einen Schluck Tee und sagte leise: »Ihr habt es gelesen. Meine Mutter ist tot und mein Bruder ein geflohener Hochverräter. Er hat unser Geschäft in den Bankrott getrieben. Alles, was mein Vater aufgebaut hat, ist dahin … alles … Und Beatrice ist verschwunden.« Tomeo starrte auf den fein gemusterten Teppich vor ihm und dachte an kornblumenblaue Augen, die glanzlos und leer sein mussten, wenn sie überlebt hatte.
    Â»Ihr liebt sie.« Es war eine Feststellung, in der etwas Tröstliches lag.
    Tomeo widersprach nicht und stand auf: »Ich muss nach Lucca.«
    Â»Jetzt sofort? Habt Ihr nicht das Kommando über zwei Hundertschaften erhalten?«
    Â»Das ist mir gleich. Meine Verwandten und die Stadt werden wie die Aasgeier über unser Vermögen herfallen, und ich muss sehen, was ich noch retten kann. Und …« Er schwieg. Er musste wissen, was aus Beatrice geworden war. Es war seine Pflicht, sich um sie zu kümmern.
    Â»Dann geht in Gottes Namen, Tomeo. Der Krieg wird weitergehen, aber Euer Schlachtfeld ist ein anderes, ein wichtigeres, eines, für das es sich zu kämpfen lohnt, mein Freund.« Tuveh öffnete die Arme und zog Tomeo an sich, drückte ihn und streichelte ihm über den Kopf, wie ein Vater es tun würde.
    Von Trauer erneut übermannt, machte Tomeo sich los, murmelte: »Lebt wohl!« und verließ den Laden des Goldhändlers.
    Bevor er zum Hauptquartier im Palazzo Reale ging, wanderte er eine Zeit lang ziellos durch die Straßen. Die Kälte des Januarnachmittags und der scharfe Wind machten seinen Kopf frei. Für die Bettler und die heruntergekommenen Behausungen in den Gassen der belagerten Stadt hatte er heute keinen Blick. Zum ersten Mal konnte er kein Mitgefühl für die Notleidenden aufbringen, weil die Not in ihm selbst alles übertraf, was er je erlebt hatte. Er konnte noch immer nicht begreifen, was Federico getan hatte. Warum? Hätte er nicht einfach mit dieser Frau, dieser Marcina, leben können wie andere auch? Viele Männer lebten bei ihrer Geliebten, deshalb führten sie trotzdem die Geschäfte weiter. Warum musste er gleich an einer Verschwörung gegen die eigene Republik teilnehmen? Da Sesto, Menobbi, Gottaneri, Valori – waren diese Männer plötzlich größenwahnsinnig geworden? Die Welt veränderte sich! Wenn die Seidenweber sich erhoben, um für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen, dann war das ihr gutes Recht! Schließlich wurden sie seit Generationen von den Händlern ausgebeutet.
    Plötzlich bekam alles, was Federico gesagt hatte, eine doppelte Bedeutung. Alle seine Versicherungen, ihm mehr Geld für die Truppen zu schicken, waren nichts als Lügen gewesen! Die letzte Zahlung für den Kaiser hatte sein Vater veranlasst. Zum Glück musste sein Vater das nicht mehr erleben. Der Brief des Legaten! Als Federico ihm damals im Garten quasi vor den Augen des Richters den blutbefleckten Brief in die Hand gedrückt hatte, da hatte er ihn tatsächlich belasten wollen! Sein eigener Bruder hätte ihn ins offene Messer laufen lassen! Ohne Beatrices Geistesgegenwart hätte Luparini ihn verhaftet. Jetzt begriff er auch, warum Federico so wütend gewesen war, als Tomeo angedeutet hatte, dass er bei der Ermordung Agozzinis dabei gewesen war.
    Tomeo hatte die unerwartete Reaktion des Bruders auf den unglücklichen Zeitpunkt, die Nacht vor dessen Hochzeit, geschoben, aber bereits damals musste Federico mit da Sestos Plänen sympathisiert haben. Connucci hatte wieder einmal größere Menschenkenntnis bewiesen, als er es abgelehnt hatte, Federico einzuweihen. Tomeo war überrascht gewesen, als der Marchese ausgerechnet ihn gefragt hatte. Connucci hatte damals gesagt, er würde ihm, dem einfachen capitano , sein Leben anvertrauen, auf Federicos Wort jedoch gäbe er keinen Pfifferling. Stattdessen hatte der Marchese Eredi Vecoli mit in den Dom genommen, in dem Averardo den Lockvogel für den Legaten gespielt hatte.
    Wann hatte Federico sich ganz für das Medici-Komplott entschieden? Zu allem anderen kam auch noch die Scham. Federico hatte den Familiennamen beschmutzt und entehrt.

Weitere Kostenlose Bücher