Die Tochter des Tuchkaufmanns: Historischer Kriminalroman (German Edition)
einen
Schwung darüber, steckte einen Löffel davon in den Mund und ließ die Süße auf der
Zunge zergehen. Dann rührte sie, während sie Sieglinde beobachtete, die kleine Teigfladen
formte und mit Gemüse belegte. Der Topfinhalt brodelte, und Jolanthe trat an ein
Regal, in dem Vorräte in unterschiedlich großen Tongefäßen aufbewahrt wurden.
»Was suchst
du?«, fragte ihre Schwester hinter ihr.
»Reismehl.«
»Auf dem
Tisch.«
Jolanthe
drehte sich seufzend um. Wie sie diese Tätigkeit hasste. Handlanger zu sein war
das eine, was ihr missfiel, doch auch wenn sie allein in diesem Reich hätte werkeln
dürfen, ihr wäre die Lust vergangen allein beim Zusammensuchen der Zutaten. Sie
nahm das Gefäß mit dem Reismehl, gab nach Gefühl etwas in ihren Topf und rührte
erneut.
Dabei dachte
sie an den Gewürzhändler und die hohen Preise, die er erzielte. Laut ihrem Informanten,
kostete der Safran in Italien erheblich weniger als der, den er hier anbot, und
sie konnte nicht glauben, dass allein der Transport derart aufwändig bezahlt werden
musste. Für diese dünnen Fäden? Sicher, sie waren kostbar, doch das war die Seide,
welche die Kaufleute im Handelshaus anboten, auch. Und die Gewürze nahmen weniger
Platz ein. Die steckte man zwischen ein paar Tuchballen und fertig. Natürlich musste
der Handelszug gezahlt werden, die Wegzölle, sowie der Schutz durch Berittene. Aber
das galt für Tuch ebenso wie für Gewürze, und bei Tuch schien ihr die Gewinnspanne
bei Weitem nicht so hoch. Dafür konnte man es schlicht nicht teuer genug verkaufen.
Warum nur hatte der Vater noch nie an eine Ausweitung seines Geschäftsfeldes gedacht?
Stattdessen befasste er sich seit jeher nur mit Tuch, vornehmlich mit solchem aus
der Gegend.
Der Pudding
kochte und Jolanthe nahm den Topf aus der Vorrichtung. Vom Regal zog sie ein paar
Schalen. Sie hatte vergessen, wie viele Gäste der Vater heute und wie viele er morgen
erwartete und ebenso wenig Lust, die Schwester danach zu fragen, nur um sich eine
erneute Zurechtweisung einzufangen. Sie füllte einfach fünf der Schälchen voll und
schob sie nach hinten an die Wand, damit sie den beiden Frauen nicht weiter im Weg
standen.
Gewürzhandel,
dachte sie wieder und sah die bunt gefüllten Körbchen und Gefäße vor sich. Kostbarstes
Gut, ohne dass es viel Raum einnahm. Sie beschloss, mit Cornelius, dem Mitarbeiter
des Kontors, darüber zu reden, sobald er aus Biberach zurück war. Schließlich kam
er herum, reiste mit Münzen des Vaters zu den Webereien bis hinunter nach Friedrichshafen.
Zudem sprach er mit den Fernhandelskaufleuten, wenn er im Handelshaus auf sie traf.
Er würde vielleicht eine Meinung dazu haben, wie aussichtsreich ein Einstieg in
den Gewürzhandel war. Ihr Vater, für den musste sie sich immer erst gute Argumente
zurechtlegen, wollte sie ihn von etwas überzeugen. Deshalb würde sie sich vorher
umhören.
»Du hast
den Zimt vergessen!« Sieglinde hatte mit einem Löffel die Reste aus dem Topf gekratzt,
in dem Jolanthe den Nachtisch angerührt hatte. »Kann man dir wirklich gar nichts
anvertrauen? Du schaffst es sogar, bei einem Zimtpudding den Zimt zu vergessen!«
Du hast
eben deine Stärken, dachte Jolanthe, und ich habe die meinen. Sie nahm den Becher
mit den Veilchen an sich. Die würde sie oben in ihrer Kammer vor das Fenster stellen,
hier unten waren sie ohnehin nicht erwünscht, und im Kontor hatte sie bereits etliche
Pflänzchen dieser Art auf den Fensterbänken verteilt. Ohne der Schwester zu antworten
drehte sie sich um und verließ den Raum.
Meine Schwester, dachte Sieglinde,
während sie abwesend einen Löffel Zimt über die fünf Schälchen mit Nachtisch verteilte,
obwohl sie nur zwei davon brauchte. Der Vater wollte allein mit seinem Gast speisen.
Meine Schwester ist mir unerklärlich. Schon als junges Mädchen hatte sie nicht verstehen
können, warum Jolanthe ihr nicht im Haushalt helfen wollte, stattdessen den lieben
langen Tag im Kontor herumkroch zwischen den Waren, den Büchern und den Füßen der
Männer, denen sie doch nur im Weg gewesen war. Allen Belehrungen zum Trotz war sie
immer wieder dort gelandet, und Sieglinde hatte das Nachsehen gehabt, allein gelassen
mit den vielfältigen Arbeiten im Haushalt. Einmal, es war schon eine Weile her,
zu Zeiten, kurz nachdem die Haushälterin gegangen war, hatte Jolanthe einen Tonkrug
mit Mehl fallen gelassen und war weggerannt. Sie hatte es aus reiner Absicht getan,
Sieglinde wusste es, sie sah das
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