Die Toechter der Kaelte
Nebensatz erwähnt, daß man vermutlich müder sein würde als je zuvor, aber auch das wurde mit einem romantischen Glorienschein umgeben und schien einfach zu dem wunderbaren Mutterschaftspaket dazuzugehören.
Dummes Gewäsch! war Ericas ehrliche Meinung nach zwei Monaten als Mutter. Lüge, Propaganda und, klar und deutlich gesagt: Blödsinn! Sie hatte sich in ihrem ganzen Leben noch nie so elend, müde, aufgebracht, frustriert und lädiert gefühlt. Und sie hatte absolut keine allumfassende Liebe verspürt, als man ihr das rote, schreiende und, ja wirklich, häßliche Bündel an die Brust legte. Auch wenn die Muttergefühle sich nach und nach eingefunden hatten, blieb doch das Gefühl, als sei jemand Fremdes in Patriks und ihr Zuhause eingedrungen, und manchmal bereute sie fast ihrer beider Unterfangen, sich ein Kind anzuschaffen. Sie hatten es zu zweit doch so gut gehabt, aber gepackt vom Egoismus der Menschheit und dem Wunsch, ihre eigenen vortrefflichen Gene reproduziert zu sehen, hatten sie mit einem Schlag ihr gemeinsames Leben verändert, und sie selbst war auf eine rund um die Uhr funktionierende Milchmaschine reduziert worden.
Wie ein so kleines Kind so unersättlich sein konnte, überstieg Ericas Fassungsvermögen. Ständig hing es an ihrem prall mit Milch gefüllten Busen, der sich obendrein derart vergrößert hatte, daß es ihr vorkam, als bestehe sie nur noch aus zwei großen wandernden Brüsten. Ihre allgemeine körperliche Verfassung war auch nichts, mit dem man viel Aufhebens machen konnte. Als sie aus der Klinik nach Hause gekommen war, sah sie noch immer hochschwanger aus, und die Kilos waren nicht in dem Tempo verschwunden, wie sie es gewünscht hätte. Ihr einziger Trost war, daß Patrik während ihrer Schwangerschaft, als sie gefuttert hatte, als bekäme sie’s bezahlt, ebenfalls zugelegt hatte, und jetzt saßen auch bei ihm ein paar Kilo zuviel um die Taille.
Gott sei Dank waren die Schmerzen jetzt fast völlig verschwunden, aber sie fühlte sich ständig verschwitzt, aufgedunsen und ganz allgemein mies. Die Beine hatten seit Monaten keinen Rasierer zu Gesicht bekommen, sie hatte es dringend nötig, sich die Haare schneiden und vielleicht ein paar Strähnchen färben zu lassen, um den mausfarbenen Ton ihrer normalerweise hellblonden, schulterlangen Haare wegzubekommen. Erica blickte ein wenig versonnen vor sich hin, aber dann machte sich Ernüchterung breit. Wie, verdammt noch mal, sollte sie dazu Zeit finden? Oh, wie sie Patrik beneidete, der wenigstens acht Stunden am Tag in der richtigen Welt, der Welt der Erwachsenen, weilte. Sie selbst hatte jetzt in erster Linie Umgang mit Ricki Lake und Oprah Winfrey, wenn sie gleichgültig mit der Fernbedienung hin und her zappte, während Maja trank und trank und trank.
Patrik versicherte ihr, daß er lieber bei ihr und Maja zu Hause bliebe, als zur Arbeit zu gehen, aber sie sah ihm an, daß er in Wirklichkeit erleichtert war, ihrer kleinen Welt eine Weile entfliehen zu können. Und sie verstand ihn, während sich zugleich ein Gefühl der Bitterkeit breitmachte. Warum mußte sie allein eine so schwere Bürde schleppen, schließlich war das alles doch die Folge eines gemeinsamen Beschlusses und sollte also auch ein gemeinsames Projekt sein. Müßte er nicht einen genauso großen Teil der Last tragen wie sie?
Jeden Tag achtete sie daher genauestens auf die Zeit, zu der er versprochen hatte heimzukommen. Erschien er nur fünf Minuten später, verspürte sie bereits Verärgerung, und wenn er noch länger ausblieb, konnte er einer ordentlichen Standpauke gewiß sein. Sobald er durch die Tür trat, drückte sie ihm Maja in die Arme, falls seine Heimkehr mit einer der seltenen Unterbrechungen ihres Verweilens an Ericas Brust zusammenfiel. Danach sank sie ins Bett und drückte sich Stöpsel in die Ohren, um dem Kindergeschrei für kurze Zeit zu entgehen.
Erica seufzte, als sie jetzt mit dem Telefon in der Hand da saß. Ihr erschien alles so hoffnungslos. Aber die Plauderstündchen mit Charlotte waren eine willkommene Unterbrechung der Tristesse. Als Mutter zweier Kinder war Charlotte ein unerschütterlicher Fels zum Anlehnen und voll von beruhigenden Versicherungen. Zu ihrer Schande mußte sich Erica eingestehen, daß es ihr auch guttat, von Charlottes Problemen zu hören, statt immer nur die eigenen vor Augen zu haben.
Allerdings gab es eine weitere Quelle der Beunruhigung in ihrem Leben. Ihre Schwester Anna. Erica hatte seit Majas Geburt nur hin und
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