Die Tore Der Finsternis
Rebus schloss, dass sie nicht die ersten Gäste des Colleges waren. Er benahm sich routiniert, nicht anbiedernd. Mitte der Woche, nur ein halbes Dutzend Stammgäste im Lokal. Drei saßen an einem der Tische, zwei am Ende der Theke, einer stand allein neben Rebus. Der Mann sprach ihn an.
»Sie sind von der Polizeiakademie, stimmt’s?«
Rebus nickte.
»Bisschen alt für Berufsanfänger?«
Rebus musterte den Mann. Er war groß, völlig kahl, mit glänzendem Schädel. Grauer Schnurrbart. Augen, die in den Höhlen zu verschwinden schienen. Vor ihm stand eine Flasche Bier und daneben ein Glas, in dem sich vermutlich dunkler Rum befand.
»Die Polizei sucht verzweifelt Nachwuchs«, erklärte Rebus. »Demnächst wird man Leute zwangsrekrutieren müssen.«
Der Mann lächelte. »Ich glaube, Sie wollen mich veralbern.«
Rebus zuckte die Achseln. »Wir machen hier eine Fortbildung.«
»Um alten Zirkusgäulen neue Tricks beizubringen, was?« Der Mann hob sein Bier.
»Wollen Sie noch eins?«, bot Rebus an. Der Mann schüttelte den Kopf. Also bezahlte Rebus die Getränke und trug drei der Gläser, gegeneinander gedrückt, zum Tisch. Ging zurück, um die beiden anderen zu holen. Dachte: Besser, ich rufe Jean nicht allzu spät an. Er wollte nicht betrunken sein, wenn er mit ihr sprach. Er hatte zwar nicht vor, sich zu betrinken, aber man konnte ja nie wissen...
»Feiern Sie das Ende von Ihrem Lehrgang?«, fragte der Mann.
»Nein, den Beginn«, erwiderte Rebus.
Im Polizeirevier von St. Leonard’s herrschte vorabendliche Ruhe. In den Arrestzellen warteten Gefangene darauf, am Vormittag des nächsten Tages dem Richter vorgeführt zu werden. Von zwei Teenagern, die man beim Ladendiebstahl erwischt hatte, wurden die Personalien aufgenommen. Die Büros des örtlichen Criminal Investigation Department im ersten Stock waren fast leer. Die kriminalpolizeilichen Ermittlungen im Fall Marber würden bis zum nächsten Morgen ruhen, und nur Siobhan Clarke war noch nicht gegangen, sondern saß vor einem Computer und starrte auf einen Bildschirmschoner in Form eines Spruchbandes: WAS WIRD SIOBHAN OHNE IHREN SUGARDADDY TUN? Sie wusste nicht, wer das geschrieben hatte. Einer ihrer Kollegen hatte sich anscheinend einen Scherz erlaubt. Sie vermutete, dass es eine Anspielung auf John Rebus war, aber sie begriff nicht ganz, was sie bedeuten sollte. Wusste der Schreiber, was ein Sugardaddy war? Oder hatte er nur gemeint, dass Rebus sich um sie kümmerte, auf sie aufpasste? Es nervte sie, dass sie sich über den Text so ärgerte.
Sie ging in der Systemsteuerung ins Untermenü »Bildschirmschoner«, klickte »Markieren« an, löschte den Text und ersetzte ihn durch einen neuen: ICH WEISS, WER DU
BIST, DU WITZBOLD. Dann überprüfte sie ein paar der anderen Computer, aber sie hatten alle Asteroide oder Wellenlinien als Bildschirmschoner. Als das Telefon auf ihrem Schreibtisch klingelte, wollte sie zuerst gar nicht rangehen. Wahrscheinlich wieder so ein Spinner, der ein Geständnis ablegen wollte oder mit dubiosen Informationen aufwartete. Gestern hatte ein biederer Typ mittleren Alters angerufen und die Leute in der Wohnung über ihm der Tat bezichtigt. Wie sich herausstellte, waren es Studenten, die ziemlich oft ziemlich laut Musik spielten. Der Mann wurde darauf hingewiesen, dass es ein ernstes Vergehen sei, die Dienste der Polizei missbräuchlich in Anspruch zu nehmen.
»Also, ich weiß nicht«, hatte einer der Uniformierten später gemeint, »wenn ich mir den ganzen Tag Slipknot anhören müsste, würde ich wahrscheinlich noch ganz andere Dinge anstellen.«
Siobhan setzte sich an ihren Schreibtisch und nahm den Hörer ab.
»CID, DS Clarke am Apparat.«
»In Tulliallan«, sagte eine Stimme, »wird einem unter anderem beigebracht, wie wichtig die rasche Entgegennahme von Anrufen ist.«
Sie lächelte. »Ich lasse andere Leute gerne ein bisschen zappeln.«
»Rasche Entgegennahme«, erläuterte Rebus, »bedeutet, den Hörer vor dem sechsten Klingeln abzuheben.«
»Woher wussten Sie, dass ich noch hier bin?«
»Ich wusste es nicht. Hab’s zuerst in Ihrer Wohnung versucht, aber da lief der Anrufbeantworter.«
»Und Sie haben irgendwie geahnt, dass ich nicht ausgegangen bin?« Sie lehnte sich zurück. »Klingt, als wären Sie in einem Pub.«
»In der wunderschönen Innenstadt von Kincardine.«
»Und dennoch haben Sie sich von Ihrem Bier losgerissen, um mich anzurufen?«
»Zuerst habe ich Jean angerufen. Und ich hatte noch ein
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