Die Tore Der Finsternis
ereigneten sich in der Regel spontan. Man wurde auf der Straße angegriffen, beispielsweise wenn man gerade am Geldautomaten gewesen war. Die Leute, die so
etwas taten, warteten nicht, bis man heimkam. Marbers Haus stand relativ abgeschieden: Duddingston Village war eine reiche Enklave am Stadtrand von Edinburgh, schon ein wenig ländlich, in Nachbarschaft zum massigen Umriss von Arthur’s Seat. Die Häuser in diesem Viertel waren hinter Mauern verborgen, die Straßen ruhig und sicher. Hätte sich jemand Marbers Haus zu Fuß genähert, würde er den Bewegungsmelder der Halogenlampe ausgelöst haben. Er hätte sich daraufhin verstecken müssen - vielleicht in den Büschen oder hinter einem der Bäume. Nach ein paar Minuten hätte die Zeitschaltuhr der Lampe das Licht verlöschen lassen. Aber jede weitere Bewegung wäre vom Sensor registriert worden.
Die Spurensicherung hatte nach möglichen Verstecken gesucht und auch mehrere gefunden. Aber es gab keine Hinweise auf einen möglichen Täter, keine Fußabdrücke oder Textilfasern.
Ein anderes Szenario, das von DCS Gill Templer ins Spiel gebracht wurde:
»Nehmen wir mal an, der Angreifer war bereits im Haus. Er hörte, wie die Tür aufgeschlossen wurde, und rannte hin. Schlug dem Opfer auf den Kopf und floh.«
Aber das Haus war Hightech-gesichert: eine Alarmanlage und überall Sensoren. Es gab keine Spuren eines Einbruchs, keinen Hinweis darauf, dass etwas fehlte. Marbers beste Freundin, eine Kunsthändlerin namens Cynthia Bessant, inspizierte das Haus und erklärte danach, ihr sei nicht aufgefallen, dass etwas fehle. Allerdings seien die meisten Gemälde der privaten Sammlung des Verstorbenen abgehängt worden und lehnten, sorgfältig in Polsterfolie verpackt, an der Esszimmerwand. Eine Erklärung dafür hatte Bessant nicht.
»Vielleicht wollte er sie neu rahmen lassen oder sie woanders aufhängen. Man ist es irgendwann leid, immer dieselben Bilder an der Wand zu sehen...«
Sie inspizierte jeden Raum, wobei sie Marbers Schlafzimmer
besondere Aufmerksamkeit schenkte, da sie es noch nie betreten hatte. Sie nannte es sein »Allerheiligstes«.
Das Opfer war nie verheiratet gewesen, und die ermittelnden Beamten vermuteten, dass er schwul gewesen sei.
»Eddies Sexualität«, sagte Cynthia Bessant, »kann in diesem Zusammenhang unmöglich von Bedeutung sein.«
Aber das würden die Ermittlungen ergeben.
Rebus hatte das Gefühl, von den eigentlichen Nachforschungen ausgeschlossen zu sein, denn er telefonierte hauptsächlich herum. Anrufe bei Freunden und Geschäftspartnern. Jedes Mal dieselben Fragen, auf die zumeist identische Antworten folgten. Die in Polsterfolie eingewickelten Bilder wurden auf Fingerabdrücke untersucht, und es stellte sich heraus, dass Marber sie persönlich verpackt hatte. Nach wie vor wusste jedoch niemand - weder seine Sekretärin noch seine Freunde - eine Erklärung dafür.
Dann, am Ende eines Briefings, nahm Rebus einen Becher Tee - milchig-grauer Tee, der jemand anderem gehörte - und warf ihn ungefähr in Richtung Gill Templer.
Der Beginn des Briefings war eigentlich wie immer. Rebus hatte mit seinem morgendlichen Milchkaffee drei Aspirin hinuntergespült. Der Kaffee befand sich in einem Pappbecher, der aus einem Laden am Rand des Meadows-Parks stammte. Normalerweise der erste und letzte anständige Kaffee eines Arbeitstages.
»Bisschen viel getrunken gestern Abend?«, hatte DS Siobhan Clarke gesagt und ihn gemustert: derselbe Anzug, dasselbe Hemd und dieselbe Krawatte wie am Tag zuvor.Wahrscheinlich fragte sie sich, ob er sich die Mühe gemacht hatte, in der Zwischenzeit eines seiner Kleidungsstücke auszuziehen. Die morgendliche Rasur hatte sich auf ein nachlässiges Geschabe mit dem Elektrorasierer beschränkt. Das Haar musste gewaschen und geschnitten werden.
Sie hatte genau das gesehen, was Rebus sie sehen lassen wollte.
»Auch Ihnen einen schönen guten Morgen, Siobhan«, murmelte er wie zu sich selbst und zerknüllte den leeren Becher.
Meistens stand er bei den Briefings ziemlich weit hinten im Raum, aber heute befand er sich weiter vorn. Saß an einem Tisch, rieb sich über die Stirn und lockerte die Schultern, während Gill Templer die aktuellen Einsatzbefehle verkündete.
Noch mehr Haustürbefragungen, noch mehr Telefonate.
Er hielt inzwischen den Becher in der Hand, von dem er nicht wusste, wem er gehörte. Die Glasur fühlte sich kalt an - gut möglich, dass er seit gestern dort gestanden hatte. Im Raum war es stickig
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