Die Tote am Watt
Mende wohl von dem Vermögen seines Vaters nichts abbekommen?«
Erik warf Sören einen Blick zu. »Wie wär’s mal mit Antworten statt mit Fragen?«
Aber Sören kam schon mit der nächsten: »Schaffen wir eigentlich den letzten Autozug noch? Er geht um acht.«
Der Regen wurde immer dichter, und schließlich prasselte er so heftig an die Scheiben, dass Erik das Tempo immer weiter zurücknehmen musste. Erst recht, als kurz vor Niebüll der Scheibenwischer in Streik trat. Es war nur ein Warnstreik, aber er erreichte, dass Erik verunsichert war. Er fuhr nur noch im Schritttempo. Seine Angst vor einem Unfall war größer als die Angst, den letzten Autozug zu verpassen. Er ließ sich auch durch Sörens Murren nicht beeindrucken, der mit abenteuerlichen Empfehlungen aufwartete. »Nun treten Sie schon aufs Gas! Sie sehen so oder so nichts, ob Sie schnell oder langsam fahren. Ich habe keine Lust, die Nacht in Niebüll zu verbringen!«
»Hören Sie doch auf zu nörgeln, Sören. Wenn ich jetzt noch einen Unfall baue, kommen wir auch nicht auf der Insel an.«
Kurz vor der Laderampe überlegte es sich der Scheibenwischer noch mal und wischte minutenlang perfekt, als wollte er genauso wenig in Niebüll übernachten, dann aber gab er seinen Geist vollends auf. Doch da kam die Autoschlange in Sicht, die sich gerade in Bewegung setzte.
»Gott sei Dank!«, stöhnte Sören auf, als der Wagen sicher auf dem oberen Deck gelandet war, und gähnte. »Ich bin fix und fertig.«
»Zu müde fürs Abendessen?«, fragte Erik grinsend. »Ich rufe mal eben zu Hause an und frage, was es gibt.« Er griff zu seinem Handy, das im selben Augenblick zu läuten begann. »Das sind sicher die Kinder, die fragen, wo ich so lange bleibe.«
Aber es war Obermeister Rudi Engdahl. Sören konnte ihn mühelos verstehen, denn Engdahl schrie in das Ohr seines Chefs, als hielte er ihn für schwerhörig: »Schon wieder eine Leiche! Ebenfalls erdrosselt! Und wieder eine Frau!«
16
Braderup, der stille Teil Wenningstedts, hatte an diesem Abend seine Ruhe verloren. Das helle Licht der Spurensicherung war weithin zu sehen, gab in jedem Haus Anlass, aus dem Fenster zu blicken oder die Tür zu einem Abendspaziergang zu öffnen. Erik fragte sich, warum es ihm eigentlich gefiel, dass reiche Leute genauso reagierten wie andere. In Windeseile hatte sich herumgesprochen, was auf dem hässlichen kleinen Parkplatz geschehen war, wo die Heidewanderer ihre Fahrzeuge abzustellen pflegten.
Ulla Andresen saß aufrecht auf dem Fahrersitz, ihr Körper hatte sich nur ganz leicht nach links geneigt. Man konnte meinen, sie hätte sich während des Einschlafens eine besonders bequeme Körperhaltung gesucht. Wer allerdings genauer hinsah, konnte die tiefe Drosselmarke an ihrem Hals erkennen. Grausamer als eine offene Wunde.
Engdahl und Mierendorf waren bereits eingetroffen und hatten mit der Befragung der Anwohner begonnen.
Dr. Hillmot begab sich soeben in eine aufrechte Körperhaltung. Stöhnend hielt er sich das Kreuz, warf einen letzten Blick auf die Leiche und wandte sich dann an Erik und Sören. »Erdrosselt. Genau wie Christa Kern. Auch im Sitzen.«
»Gibt es Hinweise, dass es derselbe Täter war?«, fragte Erik aufgeregt. Er schloss sämtliche Knöpfe seiner Jacke, denn es war empfindlich kalt geworden. Zum Glück hatte es wenigstens aufgehört zu regnen.
Dr. Hillmot hob die Schultern. »Möglich ist es. Auch hier könnte eine Wäscheleine das Strangulierwerkzeug gewesen sein.«
»Könnte? Ist das Tatwerkzeug nicht mehr da?«
Dr. Hillmot schüttelte den Kopf. »Aber es muss hart und fest gewesen sein. So wie die Kunststoff-Wäscheleine im Hause Kern. Bei Anwendung breiter, weicher Seidenschals zum Beispiel sind oft nur sehr geringe Strangulationsmerkmale zu erkennen.« Er wies auf Ullas Hals. »Die Drosselmarke ist tief. So tief wie bei Christa Kern.«
Erik wandte sich an Kommissar Vetterich. »Schuhspuren?«
»Jede Menge. Hier sind heute ziemlich viele Wanderer aufgebrochen und nach der Wanderung wieder abgefahren. Alle Spuren sind frisch.«
»Reifenspuren?«
»Auch jede Menge. Und ebenfalls frisch. Die Wanderer sind erst bei Einbruch der Dämmerung abgefahren. Es gibt hier mehrere Anwohner, die die Wandergruppen beobachtet haben.«
»Wie sieht’s mit der Tatzeit aus?«
Dr. Hillmot betrachtete die Leiche noch einmal ausgiebig. »Hier ist es leichter als bei Christa Kern«, sagte er dann. »Ich habe ein Reizgerät mit Nadelelektroden eingesetzt und noch
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