Die Tote von Charlottenburg: Kriminalroman (German Edition)
einen Löffel.
»Herr Wechsler, treten Sie ein. Ich hoffe, Sie erlauben, dass ich meinen Eintopf esse, sonst komme ich vor heute Abend nicht dazu.«
Sein Blick fiel auf ein Schild: »Die Patienten werden gebeten, bei jedem Besuch ein Brikett mitzubringen.«
»Es ist mir schwergefallen, das Schild aufzuhängen, aber es geht nicht anders. Sonst kann ich die Praxis nicht mehr beheizen.«
Magda Schott führte Leo in ein kleines Zimmer hinter dem Behandlungsraum, wo ein Henkelmann mit geöffnetem Deckel stand. Sie bot Leo einen Platz an und tauchte den Löffel in den Eintopf. »Nur zu, fragen Sie. Wann immer ich den Mund leer habe, werde ich antworten. Clara hat Sie schon angekündigt.«
Leo lächelte. Er mochte die unkonventionelle Ärztin, die ihm vor einem Jahr geholfen hatte, einen in Gefahr geratenen Jungen aus dem Wedding zu retten. »Es geht um Dr. Henriette Strauss.«
»Sie ermitteln in diesem Fall. Wurde sie ermordet?«, fragte Magda Schott unverblümt.
»Leider kann ich nicht viel dazu sagen, aber die Umstände ihres Todes sind zumindest fragwürdig. Clara sagte mir, dass Sie wüssten, wer zum Freundeskreis der Toten gehörte, zu diesem Frauenzirkel oder wie man es nennen soll.«
Magda nickte. »Ja, da wäre Alice Vollnhals, sie ist ebenfalls Ärztin. Außerdem gehört Grete Meyer dazu, eine Rechtsanwältin. Ich glaube, eine Journalistin ist auch dabei, der Name ist mir entfallen. Alice kann es Ihnen genauer sagen.« Sie notierte die Adresse ihrer Bekannten und reichte ihm den Zettel. In diesem Augenblick klingelte es an der Tür. Magda Schott seufzte. »Die Leute begreifen es einfach nicht.«
Leo blickte über die Schulter zum Behandlungszimmer. »Es ist viel Arbeit für Sie allein.«
Dr. Schott zuckte mit den Schultern. »Was soll ich machen? Eine Hilfe für ganze Tage einzustellen, kann ich mir nicht leisten. Also versuche ich, irgendwie zurechtzukommen. Aber die Mittagspause ist mir eigentlich heilig.« Sie entschuldigte sich und stand auf. Während sie zur Tür ging, schaute Leo sich nachdenklich im Zimmer um.
Nach einigen Minuten kam sie zurück. »Es ging um ein Rezept. Aber jetzt bleibt die Tür zu.« Sie setzte sich und griff wieder zum Löffel.
»Clara sagt, Sie seien Frau Dr. Strauss persönlich begegnet.«
»Das stimmt, auch wenn wir uns nicht näher kannten. Sie war äußerst dynamisch, geradezu mitreißend, möchte ich sagen. Voller Ideen, ein Mensch, der sich von Hindernissen nicht abschrecken ließ. Manchmal vielleicht zu anspruchsvoll, wenn es um andere ging, die nicht so stark und entschlussfreudig waren wie sie selbst.«
Leo gefiel es, wenn Zeugen ehrlich waren und auch die Schwächen der Opfer erwähnten.
»Ich habe gehört, dass sie als Ärztin zu kämpfen hatte.«
»Das haben wir alle. Ich habe meine eigene Praxis und bin daher ungebundener, aber wer im Krankenhaus arbeitet, zusammen mit Männern«, fügte sie vielsagend hinzu, »hat es oft schwer. Ärztinnen müssen doppelt so gut sein, um ernstgenommen zu werden. Henriette Strauss war gut, aber es ging ihr gegen den Strich, sich immer wieder beweisen zu müssen.«
»Wissen Sie, ob sie Gegner oder Neider im Krankenhaus hatte?«
Magda Schott schüttelte den Kopf. »So genau kannte ich sie nicht. Fragen Sie Alice und Grete, die können Ihnen mehr darüber sagen.«
»Und ihre Frauenberatung? Hat sie sich damit vielleicht Feinde gemacht?«
Magda Schott schob den leeren Henkelmann beiseite und wischte sich an einem Tuch den Mund ab. Dann verschränkte sie die Hände auf der Tischplatte und beugte sich vor. »Mein lieber Herr Wechsler, haben Sie eine Vorstellung davon, unter welchen Bedingungen Frauen in Berlin eine Familie unterhalten? Kinder gebären? Sie großziehen? Die Männer schwängern sie, die Frauen gehen in die Fabrik, kochen und putzen am Abend und versorgen die Kinder. So sieht der Alltag vieler Frauen aus.«
Leo schaute sie nachdenklich an. »Ich dachte immer, durch den Krieg hätte sich vieles geändert. Sie haben eine eigene Praxis, Clara hat die Bücherei, überall sieht man Frauen in Berufen, die früher nur Männern vorbehalten waren. Sogar bei der Kriminalpolizei gibt es inzwischen einige Frauen.«
Magda Schott lachte leise. »Sicher. Aber das sind Frauen ohne Kinder, so wie ich und Clara. Überhaupt: Keine der Frauen in Henriettes Kreis hat Kinder, dessen bin ich mir sicher.«
»Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet. Glauben Sie, Dr. Strauss hat sich mit ihrer Beratung Feinde
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