Die toten Seelen: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Stiefelhölzer und ein in blaues Papier eingeschlagenes gebratenes Huhn. Als all dies hereingetragen war, begab sich der Kutscher Selifan in den Stall, um für die Pferde zu sorgen; der Diener Petruschka aber richtete sich in einem kleinen Vorzimmer ein, einem sehr dunklen Hundeställchen, wohin er bereits seinen Mantel und zugleich einen ihm eigenen Geruch gebracht hatte; dieser Geruch haftete auch an einem Sacke mit allerlei für einen Diener unentbehrlichen Toilettegegenständen, den er demnächst hereintrug. In diesem Hundeställchen stellte er an der Wand ein schmales, dreibeiniges Bett auf, in das er ein kleines Ding hineinlegte, das einige Ähnlichkeit mit einer Matratze hatte; es war plattgedrückt und flach wie ein Fladen und vielleicht ebenso fettig wie der Fladen, den er schon von dem Gastwirte glücklich ergattert hatte.
Während die beiden Diener sich einrichteten und alles Nötige besorgten, begab sich der Herr in die Gaststube. Wie diese Gaststuben aussehen, das weiß jeder Reisende sehr genau: hier waren dieselben mit Ölfarbe gestrichenen Wände, die oben von dem Pfeifenqualm dunkel geworden und unten von den Rücken der verschiedenen Reisenden glänzend poliert waren, noch mehr aber von den Rücken der einheimischen Kaufleute; denn die Kaufleute kamen an Geschäftstagen in Gruppen von sechs und sieben Personen hierher, um ihre bestimmte Portion Tee zu trinken; derselbe verräucherte Plafond; derselbe verräucherte Kronleuchter mit einer Menge daranhängender Glaststückchen, die jedesmal hüpften und klingelten, wenn der Kellner über die abgetretenen Wachstuchläufer lief und kühn das Präsentierbrett schwenkte, auf dem eine solche Unmenge von Teetassen Platz gefunden hatte wie Vögel am Ufer des Meeres; dieselben in Öl gemalten Bilder an allen Wänden: kurz, es war hier genau so wie überall; allerdings fanden sich auch unterscheidende Eigentümlichkeiten: so war auf einem Bilde eine Nymphe mit so gewaltigen Brüsten dargestellt, wie sie der Leser gewiß noch nie gesehen hat. Ähnliche Spiele der Natur kommen übrigens auch auf allerlei historischen Bildern vor, von denen man nicht weiß, wann und woher und von wem sie zu uns nach Rußland eingeführt worden sind; manche sind allerdings sogar von unseren kunstliebenden hohen Herren eingeführt worden, die sie in Italien auf den Rat der sie begleitenden Kuriere gekauft haben. Unser Held nahm die Mütze ab und wickelte sich den wollenen, regenbogenfarbigen Schal vom Halse; solche Schals pflegen den Ehemännern die Gattinnen eigenhändig anzufertigen und geben denselben dann auch passende Verhaltungsmaßregeln, wie sie sich darin einwickeln müssen; wer sie aber für die Hagestolze macht, das kann ich nicht mit Sicherheit sagen; Gott mag’s wissen; ich habe solche Schals nie getragen. Nachdem der Herr sich den Schal abgewickelt hatte, ließ er sich ein Mittagessen geben. Während ihm die verschiedenen in Gasthäusern üblichen Gerichte serviert wurden, nämlich: Kohlsuppe mit Blätterpastete, welche letztere expreß für die Reisenden mehrere Wochen lang aufgehoben wird, Gehirn mit kleinen Erbsen, Bratwurst mit Kohl, gebratene Poularde mit Salzgurken und den ewigen Blätterpasteten, die immer aushelfen müssen, – während ihm also all dies teils aufgewärmt, teils geradezu kalt serviert wurde, veranlaßte er den Kellner, alles mögliche Zeug zu erzählen: wer das Gasthaus früher besessen habe, und wer es jetzt besitze, und ob es viel einbringe, und ob ihr Herr eine arge Kanaille sei, auf welche letztere Frage der Kellner wie gewöhnlich antwortete: »Oh, er ist ein furchtbarer Gauner, mein Herr!« Wie in dem aufgeklärten Westeuropa, so gibt es auch in dem aufgeklärten Rußland jetzt sehr viele achtbare Leute, die in einem Gasthause nicht speisen können, ohne mit dem Kellner zu reden und manchmal sogar ein paar vergnügliche Späßchen über ihn zu machen. Übrigens stellte dieser Reisende nicht lauter leere Fragen, sondern erkundigte sich mit großer Genauigkeit, wer in der Stadt der Gouverneur sei, wer der Gerichtspräsident, wer der Staatsanwalt, kurz, er ließ keinen einzigen bedeutenden Beamten aus; mit noch größerer Genauigkeit, ja mit besonders lebhaftem Interesse fragte er nach allen bedeutenden Gutsbesitzern: wieviel Seelen ein jeder habe, wie weit er von der Stadt entfernt wohne, sogar was er für einen Charakter habe, und wie oft er in die Stadt komme; er erkundigte sich aufmerksam nach dem Zustande der Gegend: ob es in ihrem
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