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Die Toten Von Jericho

Die Toten Von Jericho

Titel: Die Toten Von Jericho Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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Rosengarten hin,
    Das wir nie geöffnet.
     
    An der Bar herrschte großes Gedränge. Morse kannte niemanden und zog sich mit seinem Bier in eine ruhige Ecke zurück. Er würde noch etwas hier sitzen bleiben, zwei, vielleicht drei Gläser trinken und sich dann, nicht allzu spät, auf den Heimweg machen.
    Draußen fuhr mit heulender Sirene ein Polizeiwagen vorbei (oder war es eine Ambulanz?); ein Ton, der ihn an den Anfang eines der Chopinschen Nocturnes erinnerte, welches, fiel ihm nicht ein, denn ihn beschäftigte die Tatsache, daß irgendwo ein Unfall passiert sein mußte: zu Tode erschrockene Zeugen, die Gesichter noch weiß. Neugierige Passanten. Erste zögernde Berichte für das Notizbuch der Constables. Die hellen Türen des offenen Krankenwagens. Und auf der Straße eine dunkle, klebrige Blutlache. Ihm graute, wenn er daran dachte.
    »Sie sitzen hier ja so allein. Darf ich Ihnen Gesellschaft leisten?«
    Sie war groß, hübsch und etwa Anfang dreißig.
    »Das würde mich freuen«, sagte Morse. Es war mehr als nur eine Floskel.
    »Sie war gut, nicht?«
    »Ja, ganz hervorragend.«
    Sie unterhielten sich angeregt über den Vortrag, und Morse blickte ihr verzaubert in die großen, lebhaften Augen und wünschte sich, sie möge recht lange bei ihm sitzen bleiben.
    »Ich glaube, ich kenne Sie nicht«, sagte er.
    Sie lächelte ihn spitzbübisch an. »Aber ich Sie. Sie sind doch Inspector Morse, oder?«
    »Woher …?«
    »Sie brauchen keinen Schrecken zu bekommen. Es geht alles mit rechten Dingen zu. Ich heiße übrigens Annabel. Ich bin die Frau unseres Vorsitzenden.«
    »Ach so.« Man konnte seiner Stimme anhören, daß er enttäuscht war.
    Draußen ertönte erneut Sirenengeheul. Er lauschte, um herauszufinden, welche Richtung der Wagen nahm, aber es ließ sich nicht feststellen.
    Ein paar Minuten später bahnte sich ein bärtiger Hüne den Weg durch die Menge und trat an ihren Tisch. Annabels Mann. »Wie wär’s mit einem neuen Glas, Inspector?«
    »Nein, nein. Lassen Sie mich gehen. Was darf ich Ihnen holen?«
    »Kommt gar nicht in Frage. Tut mir leid, daß ich mich nicht gleich zu Ihnen setzen konnte, aber ich hielt es für meine Pflicht, unsere verehrte Gastrednerin nach Hause zu fahren. Sie wohnt in Eynsham.«
    Er ging, um die Biere zu holen. Als er an den Tisch zurückkam, sagte er: »Die Fahrt eben hat länger gedauert, als ich angenommen hatte. Die Walton Street war völlig verstopft. In Jericho muß etwas passiert sein. Polizeiautos, Krankenwagen und dann die Schaulustigen, die einfach ihren Wagen mitten auf der Straße stehenlassen und aussteigen, um zu sehen, was los ist. Na, Ihnen muß ich das ja nicht näher beschreiben, Inspector. Sie kennen das sicherlich sehr viel besser als ich.«
    Aber Morse hörte ihm schon nicht mehr zu. Er war aufgestanden, murmelte, daß er gebraucht werde, und war schon auf dem Weg nach draußen. Eilig schritt er ein Stück die Walton Street hinunter und bog dann ab in die Richmond Road. Der Anblick der Peitschenmasten, die beiderseits der Straße in jeweils dreißig Meter Abstand versetzt aufgestellt waren, verursachte ihm Beklemmung; mit ihren tief heruntergezogenen, fahles Licht verstrahlenden Leuchtröhren kamen sie ihm vor wie Ehrenwachen an einem Katafalk. Die außerhalb des Lichtradius liegenden Häuser schienen sich in der Dunkelheit zu ducken, als fürchteten sie die nächtlichen Schrecken. Er hatte das Gefühl, etwas presse ihm die Brust zusammen, und plötzlich verspürte er den Drang loszulaufen, loszulaufen, so schnell er konnte, um vielleicht doch noch … Aber tief in seinem Innern wußte er, daß er zu spät kommen würde, und in diesem Augenblick größter Angst sah er auf einmal sein Leben mit nie gekannter Klarheit und begriff, daß er schon immer zu spät gekommen war und daß hier der Grund für sein Scheitern lag. In der Canal Street kam ihm ein kalter Wind entgegen, und hundert Meter weiter die Szene vor ihm war genauso, wie er es den ganzen Weg über geahnt, nein, mehr, gewußt hatte: Im Schatten des drohend aufragenden Turmes von St. Barnabas stand mit rotierendem Blaulicht eine Ambulanz, nicht weit davon parkten auf dem Bürgersteig zwei Polizeiwagen. Vor der Sackgasse drängten sich die Neugierigen, doch ein Polizist, der in der Mitte der Fahrbahn Posten bezogen hatte, verwehrte ihnen den Zutritt.
    »Es tut mir leid, Sir, aber …« Dann erkannte er Morse. »Entschuldigung, Sir, ich habe …«
    »Wer ist zuständig?« fragte Morse leise.
    »Chief

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