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Die Toten Von Jericho

Die Toten Von Jericho

Titel: Die Toten Von Jericho Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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Qualitäten herauszufinden. »Hm, nicht übel«, konstatierte sie gnädig und schürzte die Lippen zu einem aufreizenden Schmollmund.
    Um die Schüssel mit den roten Beten zu erreichen, mußte sie sich weit über den Tisch recken, und er betrachtete beinahe andächtig die sanfte Kurve ihres schmalen Hinterns. Und dann, von einem Moment auf den andern, fühlte er sich wieder einmal allein und verlassen. Sie hatte eine Unterhaltung mit dem Mann vor sich begonnen, einem jungen Burschen Mitte Zwanzig, groß, blond, sonnengebräunt und mit einem athletischen Körper, an dem kein Gramm Fett zuviel war. Er schüttelte den Kopf, und ein schmerzlich resigniertes Lächeln spielte um seine Lippen. Daß er doch immer noch einmal auf diese alten Wunschphantasien hereinfiel … Mit Fünfzig kam man zum Glück in das Alter, wo die Sehnsüchte allmählich nachließen. Aber eben erst allmählich.
    Auf dem letzten Tisch hatte man einen Teil der Fläche freigelassen und einige Stühle bereitgestellt. Dort würde er sich hinsetzen und in aller Ruhe sein einsames Mahl verzehren. Wenigstens ersparte er sich so die Verdauungsprobleme, die ihn unweigerlich erwarteten, wenn er die Torheit begehen und sich in einem der Sessel niederlassen würde, um in jener furchtbar unbequemen, vornübergebeugten Stellung zu essen, wie sie die anderen Gäste offenbar zu bevorzugen schienen. Er füllte sein Glas nach, zog sich einen Stuhl heran und führte gerade den ersten Bissen zum Mund, als sie plötzlich neben ihm stand.
    »Sie sind anscheinend der einzige vernünftige Mensch hier«, sagte sie.
    »Ich muß Rücksicht nehmen auf meine Verdauung«, erwiderte er kurz, ohne von seinem Teller hochzublicken. Wozu versuchen, einen guten Eindruck auf sie zu machen? So sehr er sich auch anstrengen mochte, die Tatsache blieb bestehen, daß er ein Mann war, der die besten Jahre hinter sich hatte. Und man sah ihm sein Alter an. Er hatte einen Bauch, und sein Haar begann sich auch schon zu lichten. Doch dafür sprossen ihm seit längerem Borsten aus den Ohren. Nein, dachte er mutlos, sie beide paßten nicht zusammen. Besser, sie hielte sich an den lüsternen jungen Adonis dort drüben, der sie schon die ganze Zeit mit seinen Blicken verschlang.
    »Darf ich mich zu Ihnen setzen?«
    Er sah endlich auf, betrachtete sie in ihrem hellen, eng anliegenden Kleid und wies mit einer Handbewegung auf den Stuhl neben sich.
    »Ich hatte Sie schon verlorengegeben«, sagte er nach einer Weile. »Ich dachte, Sie hätten sich den anderen angeschlossen.«
    Sie hob ihr Glas an die Lippen, trank einen Schluck und fuhr mit dem Ringfinger ihrer linken Hand sacht den Innenrand des Glases entlang. »Und haben Sie es bedauert?« fragte sie leise, den Mund dicht an seinem Ohr.
    »Ja«, sagte er. »Ich hätte Sie gerne weiter für mich gehabt. Ich bin eben ein großer Egoist.« Es sollte scherzhaft klingen, aber in dem Blick, mit dem er sie ansah, lagen Kränkung und Mißtrauen.
    »Und ich habe mir gewünscht, Sie würden mir zu Hilfe kommen«, sagte sie. »Dieser blonde Stiesel da drüben – oh, hoffentlich bin ich jetzt nicht ins Fettnäpfchen getreten? Er ist nicht zufällig ein alter Bekannter von Ihnen, oder?«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein, ich kenne ihn nicht.«
    Sie blickte sich um. »Ich kenne überhaupt niemanden hier.«
    Beide widmeten sich schweigend ihrem Essen.
    »Ein paar von denen«, er wies mit dem Kopf zu einer kleinen Gruppe von Männern am anderen Ende des Raumes, »wären sicher hoch erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen«, sagte er nach einiger Zeit.
    Sie lächelte. »Kann schon sein. Aber sie öden mich alle an mit ihrem Geschwätz. Es sind solche schrecklichen Langweiler. Ich weiß nicht recht, ob Sie das verstehen können.«
    Er hob die Schultern. »Mich müssen Sie da nicht fragen. Ich selbst bin auch einer.«
    »Das glaube ich nicht!«
    »Ich will damit nur sagen, daß ich keinen Deut besser bin als andere Männer.«
    »Was meinen Sie damit?« Ihre Stimme hatte einen leichten nordenglischen Akzent. Vielleicht kam sie aus Lancashire.
    »Wollen Sie, daß ich es Ihnen erkläre?«
    »Ja, bitte.«
    Wieder, wie schon zu Beginn des Abends, sahen sie sich einen Moment lang in die Augen, dann senkte der Mann den Blick auf seinen Teller. Er hatte nur wenig gegessen. »Ich finde Sie sehr attraktiv«, sagte er ruhig. »Das ist alles.«
    Sie sagte nichts, und beide wandten sich wieder ihrem Essen zu, jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt.
    »Wirklich gut«, sagte

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