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Die Toten Von Jericho

Die Toten Von Jericho

Titel: Die Toten Von Jericho Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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Inspector Bell, Sir.«
    Morse nickte stumm, den Blick gesenkt. Er ging das Sträßchen hinunter bis zum letzten Haus, klopfte kurz an und trat ein.
    Der Raum schien ihm merkwürdigerweise völlig vertraut: gleich rechts neben der Eingangstür die Couch, an der sich anschließenden Längswand das achteckige Mahagonitischchen mit dem Fernsehgerät und mit den beiden bequemen Sesseln davor; an der Wand gegenüber die wuchtige Anrichte, darauf ein Stapel Teller – weiß mit kirschrotem Rand – und direkt ihm vis-à-vis, rechts von der Treppe, die Tür. Es bedurfte nur eines Sekundenbruchteils, um seine detailgetreue Erinnerung vom Nachmittag und den Raum, wie er jetzt war, miteinander zu vergleichen. Alles schien unverändert. Oder doch fast alles. Aber bevor er Zeit hatte, darüber nachzudenken, worin der Unterschied bestand, bemerkte er plötzlich, daß er nicht allein im Zimmer war. Etwas seitlich von ihm, ein paar Schritte entfernt, stand ein untersetzter junger Kriminalbeamter in Zivil. Morse hatte das Gefühl, als ob er den Mann vor kurzem erst irgendwo gesehen hätte, aber dies war nicht der rechte Augenblick, um lange darüber nachzugrübeln.
    »Wo finde ich Bell?«
    »Gleich hier durch, Sir.« Der Beamte wies auf die Tür, und Morse spürte, wie ihn ein plötzlicher Schwindel ergriff. »Da drin also?« fragte er kaum hörbar.
    »Ja, in der Küche.«
    Hinter der Tür befand sich die Küche. Natürlich. Und vermutlich hatte man irgendwann im Laufe der Jahre noch weiter angebaut, so daß es hinter der Küche, wie bei vielen Häusern dieser Art, die er kannte, noch ein enges Badezimmer und ein Klo gab. Er fuhr sich mit einer Geste verzweifelter Ratlosigkeit über die Augen und fragte sich, was er machen sollte. Oh, lieber Gott! Was sollte er bloß tun?
    »Möchten Sie hineingehen, Sir?«
    »Nein, nein!« Morse hob abwehrend die Hände. »Ich war rein zufällig in der Nähe, im Clarendon Institute war ein Vortrag. Jemand dort sagte mir, daß in Jericho etwas passiert sei.«
    »Wir konnten nichts mehr tun, Sir.«
    »Ist sie … ist sie tot?«
    »Ja. Schon eine ganze Weile. Der Arzt ist gerade drin; er wird vermutlich gleich …«
    »Und wie?«
    »Sie hat sich erhängt. Hat sich auf einen Schemel gestellt und …«
    »Wie haben wir es erfahren?«
    »Ein anonymer Anrufer. Das ist übrigens, wenn Sie mich fragen, das einzig Merkwürdige an der ganzen Sache. Von draußen, vom Garten her konnte man sie nämlich nicht sehen. Der Anrufer muß also …«
    »Hat sie einen Abschiedsbrief hinterlassen?«
    »Wir haben bis jetzt noch keinen gefunden, aber die oberen Zimmer sind auch noch nicht richtig durchsucht worden.«
    Einen flüchtigen Moment lang zögerte er, die nächste Frage zu stellen. Was tust du, Morse? Was tust du? Doch er wußte, daß es ihm unmöglich war, jetzt aufzuhören.
    »War die … äh, war die Haustür offen?«
    Der junge Beamte blickte ihn interessiert an. (Ein Constable. Morse erinnerte sich jetzt wieder; er gehörte zu der Gruppe frischgebackener Polizeibeamter, die sich heute morgen sein Referat angehört hatten, und sein Name war, wenn ihn nicht alles täuschte, Walters.) »Komisch, daß Sie danach fragen, Sir. Sie war nämlich offen. Wir sind hier einfach so reingegangen – jeder x-beliebige Fremde hätte das auch tun können.«
    »Und die Tür zur Küche?«
    »Wir haben zuerst gedacht, sie sei abgeschlossen, aber dann haben wir gemerkt, daß sie nur klemmte. Man braucht sich ja bloß anzusehen, wie schief sie in den Angeln hängt, und dann noch die Feuchtigkeit um diese Jahreszeit … Wir mußten ziemlich dagegendrücken, aber dann bekamen wir sie schließlich auf.«
    Er machte einen Schritt in Richtung Tür, als wolle er demonstrieren, wie sie es angestellt hatten, aber Morse winkte schnell ab.
    »Was ich noch gerne wissen würde, Constable … ist aus diesem Zimmer hier irgend etwas entfernt worden?«
    »Nein, nichts, Sir – das heißt, hier innen auf der Türmatte lag ein Schlüssel, den haben wir an uns genommen.«
    Morse hob überrascht den Kopf. »Ein Schlüssel?«
    »Ja. Dort auf der Matte. So als ob ihn jemand durch den Briefschlitz geworfen hätte. Ganz blank, wohl noch ziemlich neu. War das erste, was wir gesehen haben, als wir hier hereinkamen.«
    Morse wandte sich zum Gehen. Auf der hellgrün gekachelten Fläche vor der Eingangstür stand eine kleine Lache schmutzigbraunen Regenwassers. Doch der schwarze Herrenschirm, den er bei seinem ersten Besuch in der Ecke hatte lehnen sehen, war

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