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Die Toten von Santa Lucia

Die Toten von Santa Lucia

Titel: Die Toten von Santa Lucia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Krohn
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nicht. Sie wollte nicht einbrechen. Wollte nicht darüber reden. Kurz entschlossen griff sie nach ihrem Lederrucksack, kramte Luzies Foto hervor und schob es ihm hin.
    »Wer weiß, vielleicht läuft sie Ihnen zufällig über den Weg.«
    Der Kommissar nahm das Foto und sah es sich kurz an. In dem Moment klingelte sein Handy. Während er telefonierte, verfinsterte sich seine Miene. Die Welt war jetzt eindeutig kein großer Witz mehr, vielleicht war sie es nie gewesen und wurde nur ab und zu von einem Lachen übertönt, das man brauchte, um über die Runden zu kommen. Sonja hörte ihn knapp »dove« und »va bene« und »vengo subito« sagen, dann fluchte er einmal unmissverständlich.
    »Ich muss weg. Tut mir Leid.« Er warf einen bedauernden Blick auf den halb vollen Teller vor seiner Nase. Dann schob er den Stuhl zurück und stand auf.
    »Was ist los?«
    »Eine Schießerei mit zwei Toten in den Quartieri Spagnoli. Genießen Sie das Essen, und lassen Sie sich danach ein Taxi rufen.«
    »Nein. Ich komme mit.«
    Der Kommissar sah sie irritiert an. Die dunklen Flecken in seinen Augen waren abwehrbereit. Ihm war anzumerken, dass er Widerspruch dieser Art nicht gewohnt war. Dann zuckte er mit den Schultern.
    »Die deutsche Presse … Warum eigentlich nicht.« Er legte ein paar Scheine auf den Tisch und griff sich eine Scheibe Weißbrot. »Aber das wird sicherlich kein schöner Anblick. Hier geht’s um was anderes als um stilvolle Esszimmereinrichtungen. «
    »Zerbrechen Sie sich bloß nicht meinen Kopf«, sagte Sonja, während sie zur Tür gingen.
    »Commissario, Sie müssen weg? Aber die Pasta, was für ein Jammer … « Die Wirtin war aus der Küche gekommen und rang die Hände.
    Gentilini blieb kurz stehen. »Was soll ich machen, Giuseppina, so ist das Leben. Tut mir Leid.«
    Sie stemmte die Hände in die Hüften. »Tut Ihnen Leid? Und was ist mit Ihrem Magen? Haben sich wieder mal ein paar dieser malviventi gegenseitig eine Kugel in den Kopf geballert? Kommen Sie, kommen Sie, auch ein Commissario muss essen. Davon, dass Sie hungern, werden diese Mistkerle auch nicht wieder lebendig. Wer tot ist, ist tot. Sage ich die Wahrheit oder nicht, he?«
    Ihr Sohn zuckte lahm die Schultern. »Mamma, der Commissario muss … «
    »Natürlich haben Sie Recht«, sagte Gentilini sanft. »Mein Magen ist ganz auf Ihrer Seite, Signora. Aber was sein muss, muss sein. C’aggia fa’.«

4
    Frisch gewaschene, unbefleckte Laken hingen an den Leinen wie Friedensfahnen. An der Straßenecke die rosa Neonbeleuchtung eines Marienaltars, ästhetisch reizvoll im Kontrast zum Blaulicht der kreuz und quer geparkten Polizeiwagen. Die beiden Leichen lagen direkt vor dem Eingang eines Metzgerladens: zwei Männer, jeder offenbar von mehreren Schüssen getroffen. Es gab viel Blut. Eine unschöne Szene, ein bisschen wie Sonntagabend auf der Mattscheibe, nur in echt. Im Schaufenster hinter den Toten hingen an Eisenhaken befestigte halbe Schafe und gerupfte Hühner mit langem Hals, darunter standen Aluschalen mit Fleischklumpen darin, eine Schale mit einer hellen Masse, vermutlich Hirn, eine andere mit dunkelroten Lappen, vermutlich Leber. Der Laden selbst war leer gefegt. Zwei Uniformierte hielten Anwohner und Passanten auf Abstand.
    Sonja war aus Gentilinis Auto ausgestiegen, hatte nur aus einiger Entfernung kurz einen Blick auf die leblosen Körper geworfen, die den Eingang zur Metzgerei versperrten, und sich dann an den Rand des Geschehens zurückgezogen, in den Schutz einer Hauswand. Niemand beachtete sie. Dies war nicht ihr Terrain, sondern Gentilinis Heimspiel.
    Bühnenhintergrund war ein heruntergekommener Platz in den Quartieri Spagnoli, ein schachbrettähnliches Geflecht enger, teils dunkler Gassen, die sich jenseits der Flaniermeile Via Roma an den Hang des Vomero pressten. Rings um den kleinen Platz vom Charme eines Trümmergrundstücks drängten sich fünf-, sechsstöckige Häuser mit unansehnlichen Fassaden und schmalen Balkonen, zwischen denen wie als notdürftiger Halt Wäscheleinen gespannt waren. Angesichts des sichtbaren Mangels an Raum und Licht wirkte der freie, unbebaute Fleck allerdings fast wie Luxus: eine Minioase inmitten einer Millionenstadt. Es gab Spuren, die auf einen Ort der Begegnung hindeuteten: Skelette von Sitzbänken um einen Sandkasten, dessen karger Inhalt angereichert war mit Blechdosen und sonstigen Untergruppen der Gattung Müll und der, wie es aussah, maximal noch als Katzenklo diente; zwei verrostete, planlos

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