Die Totentänzerin: Ein Fall für Nils Trojan 3 - Psychothriller (German Edition)
Kopf.
Noch eine Minute.
Sie musste ganz nach vorn, zum Tunnelschacht. Dort, wo der Zug die höchste Geschwindigkeit hatte.
Ihre Schritte pochten auf dem Bahnsteig.
Noch einmal drehte sie sich zu der Anzeigetafel um. Die Aufschrift blinkte. Also war es gleich so weit.
Schon hörte sie den Zug im Tunnel. Schon konnte sie die Lichter sehen. Er donnerte heran.
Doch als er einfuhr, wich sie im letzten Moment zurück. Sie dachte an Hilmar. Auch an Werner musste sie denken, Werner, der nun schon seit drei Jahren tot war.
Bei seiner Beerdigung hatte sie sich heimlich unter die Trauergäste gemischt. Ein Grab ohne Namen, mehr war ihr nicht von ihm geblieben.
Die Türen sprangen auf. Menschen stiegen ein und aus. Die roten Lampen blinkten auf, das Warnsignal ertönte, die Türen fielen zu, der Zug fuhr ab.
In fünf Minuten wäre der nächste da, der sollte es sein.
Und Theresa näherte sich wieder der Bahnsteigkante.
Sie las den Namenszug auf dem Schild an der Tunnelwand: SCHÖNLEINSTRASSE . Endstation, dachte sie.
Noch vier Minuten.
Ihr Herz hämmerte.
Sie blickte auf die Gleise. Da wimmelte etwas. Es waren Mäuse. Die lebten hier, die hielten das aus.
Drei Minuten.
Nicht länger darüber nachdenken.
Noch zwei.
War sie wirklich so weit ?
Eine Minute.
In diesem Moment klingelte das Handy in ihrer Tasche.
Sie ist deine Schwester, aber du darfst jetzt keine Skrupel haben. Hattest du denn vorher welche ? Nein, denn in dir ist alles erloschen, seit sie damals kam, mit dem Hammer in dein Zimmer stürmte und den Mann, der mit dir schlief, erschlug. Immer wieder hat sie beteuert, sie habe in Notwehr gehandelt in dem Glauben, ihre ältere Schwester werde vergewaltigt. Aber es war keine Vergewaltigung, es war das erste und letzte Mal, dass du mit einem Mann zusammen sein konntest. Die Eltern sind beinahe daran zerbrochen, die Polizei hat dir bohrende Fragen gestellt, und nur um Vater und Mutter einen Gefallen zu tun, nur um den Ruf der Familie zu schützen, hast du ausgesagt, der Verkehr mit diesem Mann sei tatsächlich nicht freiwillig gewesen, und du habest um Hilfe gerufen, und deine Schwester sei an dein Bett gestürzt, um dich von deiner Pein zu befreien. Und da Theresa damals erst dreizehn Jahre alt und damit noch nicht strafmündig war, kam es nicht einmal zu einem Gerichtsverfahren.
Sie hat dir die Fähigkeit geraubt, Lust zu empfinden, warum also solltest du Skrupel haben, sie nun in den Tod zu schicken. Schon bald wird man ihr schriftliches Geständnis finden, ihr werden die Morde an den Paaren angehängt, und du bist frei.
Dir bleiben immer noch die Filme, du kannst sie dir wieder und wieder ansehen. Du hast diesen Frauen genommen, was dir niemals vergönnt war, warum sollte es ihnen besser ergehen als dir. Du siehst in ihren Augen die Angst, das langsame Erlöschen ihrer Lebenskraft.
In ihrem verzweifelten Blick siehst du niemand anders als dich selbst.
Nun zum letzten Schritt, du verbindest das Handy mit dem Rechner und öffnest das Programm, mit dem du deine Stimme verfremden kannst, du wählst die Nummer, gleich wirst du ins Mikro sprechen, und alles, was du sagst, verwandelt sich in eine flüsternde Männerstimme.
Ja, mit Computern hast du dich schon immer gut ausgekannt. Andere Frauen bekommen Schmuck, Blumensträuße und Sex, für dich gibt es bloß Überwachungsprogramme und Anonymisierungstools.
Die anderen Frauen lachen, hell, kristallklar und amüsieren sich, du aber bist das heimliche Auge, das Flüstern und der Tod.
Sie nahm das Telefon hervor. Für einen Moment hatte sie den Eindruck, es sei nicht ihr eigenes, zu neu, als habe es jemand vertauscht, doch dann verwarf sie den Gedanken wieder.
»Hallo ?«
Sie presste es an ihr Ohr, hörte jemanden atmen.
»Hallo ?«, fragte sie noch einmal.
Da meldete sich wieder dieser Anrufer, und sie erschrak.
»Ich möchte Ihnen gratulieren. Es ist richtig, was Sie vorhaben. Sie haben Schuld auf sich genommen, also sollten Sie auch gehen.«
Sie wusste nichts zu erwidern.
»Tun Sie es. Jetzt.«
»Wer sind Sie ?«
»Haben Sie das noch immer nicht erraten ?«
»Nein.«
»Ich bin die Stimme in deinem Kopf. Die Stimme, die dich verfolgt. Die Stimme, die dich zum Morden trieb. Ich bin dein Wahnsinn, Theresa. Mich bist du erst los, wenn du gehst. Also tu es: Bring dich um.«
»Hören Sie auf damit.«
»Das geht nicht. Ich bin ein Teil von dir. Du musst dich erst selbst zerstören.«
»Aufhören, sag ich !«
»Wo bist du ?«
Sie antwortete
Weitere Kostenlose Bücher