Die Totentänzerin: Ein Fall für Nils Trojan 3 - Psychothriller (German Edition)
Zuversicht verbreiten. Doch als Angehöriger dieser Schwerkranken versagte er kläglich. Hockte da, umklammerte ihre dürren Finger und schwieg.
Nein, dachte er, weg mit den Erinnerungen, den quälenden Bildern.
Und er richtete den Blick wieder auf das Mädchen, ließ ihn über seinen Körper hinweggleiten, langsam, tastend, vom Kopf bis hin zu den Füßen und wieder zurück. Sie war nun bereits über das Alter hinaus, das ihre Schwester bei ihrem Tod gehabt hatte. War nicht mehr so jung wie Marie damals und weniger unschuldig als die Vierzehnjährige, die ihn in seinen Träumen heimsuchte.
Marie. Ihr Haar war bedeutend schöner gewesen, es bedurfte keiner Färbung, schon gar nicht in diesem knalligen Ton, es war von Natur aus brünett, leicht gewellt und dicht, und ihre Lippen waren rein und makellos, von ihrem Wesen her war sie sanfter, verträumter, und beim Sprechen errötete sie gelegentlich. Wenn er sie heimlich beobachtete, wie sie durch die Straßen ging, sah er, wie die tropfenförmige Perle ihres Halsbands in der Mulde ihres Schlüsselbeins hin und her schwang, ein Anblick, der ihn in Verzückung geraten ließ.
Er versuchte, sich das rote Halsband an dem schlafenden Mädchen vorzustellen, und wie es wäre, wenn sie keine Kleidung mehr trug, ihr nackter Körper bloß mit diesem Accessoire verziert.
Da er ihr das Schlafmittel gegeben hatte, könnte er doch alles mit ihr tun, sie wäre sein.
Aber noch immer schreckte er davor zurück, sie zu berühren.
Sie hatte einfach zu wenig Gemeinsamkeiten mit Marie. Marie, auf die er am Schultor gewartet hatte, der er nachgegangen war, ohne dass sie es ahnte. Immer wieder löste er sich in seinen Träumen aus dem Schatten eines Baumes und folgte ihr, dabei war ihm, als würden seine Schritte ferngesteuert. Und noch heute, nach all den Jahren, trieb es ihm die Tränen in die Augen, wenn er an ihre geschmeidigen Bewegungen dachte, an ihr wippendes Haar und den kleinen festen Hintern.
Nun war sie tot, und auch das Halsband war fort.
Er hätte es nicht aus der Hand geben dürfen.
Er brauchte es, wollte damit spielen.
Niemals hätte er sich von Maras Ähnlichkeit mit Marie hinreißen lassen dürfen.
Doch seit der ersten Begegnung mit ihr hatte er geglaubt, Marie sei in Mara wiederauferstanden, Marie sei in Mara zur Frau herangereift, um endlich wieder bei ihm zu sein.
»Mara, Marie«, flüsterte er.
Seine Stieftochter rührte sich nicht, keine Wimper zuckte in ihrem Schlaf.
Sollte die Dosis etwa zu hoch gewesen sein ?
Er legte die Hand an ihre Halsschlagader.
Der Puls war fühlbar, schwach, aber sie lebte.
Mit einem Mal fühlte er sich stärker und mutiger als zuvor. Ihr Widerstand war gebrochen, niemandem würde sie von seiner Affäre mit Mara erzählen können. Sie würde schweigen, für immer, und auch nichts mehr über das Halsband verraten. Sie war überhaupt zu neugierig, er mochte ihre Überheblichkeit nicht, diese spröde, angriffslustige Art, sie hatte einfach nichts mit ihrer Schwester gemein.
Er seufzte auf, dann legte er sich neben sie.
Wenn sie doch nur Marie wäre. Während er sich enger an ihren Körper schmiegte, träumte er sich fort. Seine Erinnerungen führten ihn zurück in das Waldstück, in das er Marie gefolgt war, Vögel sangen, er rannte ihr nach, die Sonnenstrahlen irrten durch das Laub der Bäume, trafen ihn, blendeten, flimmerten, und er sah Marie vor sich, nah, ganz nah, auch sie rannte, gleich hatte er sie eingeholt, und er haschte nach ihr.
Er krümmte sich zusammen.
Das Mädchen in seinen Armen murmelte etwas im Schlaf.
Dass sie nur ja nicht wach wurde, vielleicht musste er die Dosis erhöhen.
Da läutete es an der Tür, und Andras zuckte zusammen.
Zweinundzwanzig
Trojan stützte den Kopf in die Hände. Schon den ganzen Tag über waren die Kollegen zu ihm hereingekommen mit Fragen, Hinweisen, die nicht weiterführten, Theorien, die nichts einbrachten, und ein jeder hatte sich über den Chef beklagt, er würde nicht zuhören, wäre apathisch, und die Ermittlungen drehten sich im Kreis.
»Tu was«, hatte Stefanie gesagt, »sprich mit ihm. Sag ihm, dass du die Leitung übernimmst, wenn er nicht mehr dazu in der Lage ist. Und was soll eigentlich diese dämliche Geschichte, er sei in der Badewanne ausgerutscht ? Erst der Rücken, jetzt die Schulter ! Mit seinem Verband sieht er aus, als sei er gerade aus der Klinik getürmt, und wir müssen hier eine Mordserie aufklären.«
Sie haben ja alle keine Ahnung, was wirklich mit
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