Die Totgesagten
hängte sich immer an Kinkerlitzchen auf, anstatt das große Ganze zu betrachten. Was verstand der schon von wirtschaftlichen Zusammenhängen? Der knapp Dreißigjährige hatte vermutlich noch nie über so viel Geld entschieden wie Erling in seinen besten Jahren aneinem einzigen Tag. Nein, für Pfennigfuchser wie diesen Erik Bohlin hatte er nicht viel übrig. Mit Nachdruck sagte er: »Das soll uns jetzt nicht kümmern. Angesichts des wachsenden Touristenstroms, der uns ins Haus steht, sind ein paar zerbrochene Fensterscheiben nun wirklich nicht der Rede wert. Im Übrigen gehe ich davon aus, dass die Polizei ihr Bestes tut, um die Lage unter Kontrolle zu halten.«
Er ließ seinen Blick einen Moment auf jedem Einzelnen ruhen. Diese Technik hatte sich schon früher als effektiv erwiesen. So auch jetzt. Alle senkten gehorsam den Blick und schluckten jeglichen Protest hinunter. Sie alle hatten Gelegenheit gehabt, ihre Meinung zu sagen, aber nun war man auf gute demokratische Weise zu einem Entschluss gekommen, und die Fernsehbusse mit den Teilnehmern würden heute in Tanum eintreffen.
»Es wird schon werden«, seufzte Jörn Schuster, der sich noch immer nicht davon erholt hatte, dass Erling den Posten des Bürgermeisters übernommen hatte, auf dem er selbst fast fünfzehn Jahre gesessen hatte.
Erling wiederum konnte nicht nachvollziehen, warum Jörn im Gemeinderat geblieben war. Wäre er so schmählich abgewählt worden, hätte er den Schwanz eingezogen und sich getrollt. Aber wenn Jörn diese Schmach ertragen wollte, war das seine Sache. Vieles sprach dafür, den alten Fuchs zu halten, obwohl er inzwischen – bildlich gesprochen – seine scharfen Zähne eingebüßt hatte. Solange Jörn im Gemeinderat war, machten seine treuen Anhänger wenigstens keinen Ärger.
»Tja, dann legen wir jetzt mit Volldampf los. Um eins werde ich persönlich das Fernsehteam begrüßen, ihr seid natürlich ebenfalls willkommen. Ansonsten sehen wir uns bei der regulären Sitzung am Donnerstag.« Er stand auf und ließ keinen Zweifel daran, dass es für seine Gäste nun Zeit war zu gehen.
Uno brummte noch immer missmutig vor sich hin, aber dierestliche Truppe stand hinter ihm, dachte Erling. Diese Sache roch einfach nach Erfolg.
Zufrieden genehmigte er sich auf der Terrasse eine Zigarre. Im Esszimmer deckte Viveca schweigend den Tisch ab.
»Da da da.« Maja saß auf dem Kinderstuhl und lallte fröhlich, während sie geschickt dem Löffel auswich, den Erica ihr in den Mund zu stecken versuchte. Nach einer Weile gelang es ihrer Mutter, ihr den Löffel in den Mund zu befördern, aber die Freude hielt nicht lange an, da Maja nun vorführte, wie gut sie ein Auto nachahmen konnte. »Brumm, brumm«, machte sie mit einer derartigen Hingabe, dass sich der Brei gleichmäßig auf Ericas Gesicht verteilte.
»Scheiße«, sagte Erica müde, bereute aber sofort ihre Wortwahl.
»Brumm, brumm.« Ausgelassen spuckte Maja den Rest der Pampe auf den Tisch.
»Seiße«, wiederholte Adrian, woraufhin ihn seine große Schwester streng zurechtwies.
»So was sagt man nicht, Adrian!«
»Aber Ica hat das auch gesagt.«
»So was darf man aber nicht sagen, oder, Tante Erica, darf man doch nicht?« Emma stemmte entschlossen die Hände in die Hüfte und sah Erica herausfordernd an.
»Nein, natürlich darf man das nicht. Es war blöd von mir, so etwas zu sagen, Adrian.«
Zufrieden widmete sich Emma wieder ihrem Müsli. Erica betrachtete sie liebevoll, aber besorgt. Sie hatte früh erwachsen werden müssen. Manchmal verhielt sie sich eher wie Adrians Mutter als wie seine große Schwester. Anna schien es nicht zu bemerken, doch Erica fiel es auf. Sie selbst hatte diese Rolle auch in viel zu jungen Jahren schultern müssen.
Und nun war alles beim Alten: Sie war wieder die Mut terihrer Schwester. Während sie gleichzeitig die Mutter von Maja war und eine Art Zweitmutter für Emma und Adrian, bis Anna wieder aus ihrem Dämmerschlaf erwachte. Erica warf einen Blick in Richtung Obergeschoss und begann, das Chaos auf dem Tisch abzuräumen. Oben war es ruhig. Anna stand selten vor elf auf, und Erica ließ sie schlafen. Sie wusste nicht, was sie sonst hätte tun sollen.
»Ich will heute nicht in den Kindergarten«, teilte Adrian mit und setzte eine Miene auf, die unmissverständlich zum Ausdruck brachte, dass sie gar nicht erst versuchen sollte, ihn zu zwingen.
»Natürlich gehst du in den Kindergarten, Adrian.« Emma stemmte erneut die Hände in die Seiten. Erica
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