Die Totgesagten
die ihre Ausrüs tung einpackten.
»Kein Problem, wir haben alles dokumentiert. Hier ist ein Tuch.« Der Kriminaltechniker reichte ihm ein weißes Stück Stoff, und Patrik bedankte sich mit einem Nicken. Vorsichtig, fast schon zärtlich, rieb er das Blut weg, das aus einer Wunde auf ihrer Stirn gelaufen war. Bevor er weitermachen konnte, schloss er ihre Augen behutsam mit dem Zeigefinger. Unter dem Blut kam eine Landkarte aus Wunden und blauen Flecken zum Vorschein. Das Gesicht war mit voller Wucht auf das Lenkrad geprallt, da das Auto ein älteres Modell ohne Airbag war.
»Könntest du noch ein paar Bilder machen?«, bat er den jungen Mann, der ihm das Tuch gegeben hatte. Der Techniker nickte und griff nach seiner Kamera. Hastig schoss er noch einige Fotos und warf Patrik einen fragenden Blick zu.
»Das reicht«, meinte Patrik und ging auf Hanna zu, die einen verwirrten Eindruck machte.
»Was hast du gesehen?«, wollte sie wissen.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Patrik ehrlich. »Es war nur irgendetwas … Ich weiß nicht …« Er winkte ab. »Wahrscheinlich gar nichts. Wir fahren jetzt zurück, damit die anderen ihre Arbeit hier abschließen können.«
Siesetzten sich ins Auto und fuhren wieder Richtung Tanum. Auf dem gesamten Rückweg herrschte im Auto eine merkwürdige Stille. Und in dieser Stille wollte irgendetwas Patriks Aufmerksamkeit erregen. Er wusste nur nicht, was es war.
Bertil Mellberg hatte erstaunlich gute Laune. So fröhlich war er sonst nur, wenn er mit seinem Sohn Simon zusammen war, von dessen Existenz er die ersten fünfzehn Jahre nichts geahnt hatte. Simon besuchte ihn zwar leider nicht oft, aber immerhin besuchte er ihn überhaupt, und eine gewisse Beziehung hatten sie mittlerweile aufbauen können. Keine überwältigende, sondern eine, die an der Oberfläche kaum sichtbar war und im Verborgenen lebte. Aber es gab sie.
Das schwer zu erklärende Gefühl rührte daher, dass ihm am Samstag etwas Merkwürdiges passiert war. Nach monatelangem Drängen seines guten, oder vielmehr einzigen, Freunds Sten – vielleicht hätte man ihn eher als Bekannten bezeichnen können – hatte er sich endlich überreden lassen, zum »Tanz auf der Tenne« in Munkedal mitzugehen. Mellberg hielt sich zwar für einen ausgezeichneten Tänzer, hatte aber seit Jahren keine Tanzfläche mehr unsicher gemacht. Und »Tanz auf der Tenne« klang irgendwie nach Polka und Ringelpiez mit Anfassen. Doch zum Glück hatte Sten, der dort regelmäßig hinging, nicht nachgegeben. Bei solchen Tanzveranstaltungen werde nicht nur die passende Musik für ihre Altersgruppe gespielt, vielmehr böten sich dort auch hervorragende Jagdgründe. »Da sitzen die Weiber wie die Hühner auf der Stange und warten nur auf einen Gockel wie dich.« So hatte Sten sich ausgedrückt. Mellberg konnte nicht leugnen, dass das verlockend klang. In den letzten Jahren hatten sich die Frauen in seinem Leben ein wenig rar gemacht, und sein bestes Stück brauchte dringend Bewegung. Dennoch war er skeptisch. Er konnte sich lebhaft vorstellen, welcher Typ Frau zum»Tanz auf der Tenne« ging: geldgierige alte Schreckschrauben, die auf einen Kerl mit dicker Rente aus waren und nicht auf eine scharfe Nummer. Aber mit heiratswütigen Weibern hatte er noch nie Schwierigkeiten gehabt, sagte er sich. Und so beschloss er, sein Glück zu versuchen. Sicherheitshalber zog er seinen guten Anzug an und sprühte sich ein feines Duftwässerchen auf den einen oder anderen Körperteil. Als Sten ihn abholte, stärkten sie sich mit einem Schluck aus dem Flachmann. Da Sten vorsichtshalber einen Fahrer organisiert hatte, konnten sie sich bedenkenlos einen hinter die Binde kippen. Nicht, dass Mellberg ein Moralapostel gewesen wäre, aber Trunkenheit am Steuer machte sich einfach nicht gut. Seit dem Vorfall mit Ernst behielten seine Vorgesetzten ihn im Auge. Er musste sich am Riemen reißen, oder wenigstens so tun, als ob. Was der Dienstherr nicht weiß, macht ihn nicht heiß.
Der Tanz war schon in vollem Gange. Mellberg betrat den Saal ohne größere Erwartungen, und seine Vorurteile wurden auch sofort bestätigt. So weit das Auge reichte, nur Frauen in seinem Alter. In diesem Punkt stimmte er mit Jack Nicholson vollkommen überein – wer hatte schon Lust auf wabbelige und faltige Haut, wo doch so viel knackiges Frischfleisch herumlief? Allerdings musste Mellberg zugeben, dass der Schauspieler auf diesem Gebiet etwas mehr Erfolg hatte als er selbst. Es musste an Jacks
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