Die Traene des Drachen
ihn an. Plötzlich zog er roh ihre beiden Arme hinter ihren Rücken und hielt sie mit einem Arm fest. Mit der freien Hand nahm er eine ihrer rot glühenden Haarsträhnen zwischen zwei Finger und betrachtete sie sich genauer. „Sie leuchten tatsächlich rot. Ich hätte es niemals für möglich gehalten, wenn ich es jetzt nicht mit eigenen Augen sehen würde.“ Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, ließ er sie jäh los, sodass sie aufgrund ihres anhaltenden Schwindels zu Boden stürzte. Dann ging er, ohne sie weiter zu beachten, zum Lagerfeuer. Dort widmeten sich inzwischen die Krieger schmatzend ihrem Essen. Elea band sich mit hektischen Bewegungen das feuchte Tuch um den Kopf. Dies linderte wenigstens etwas ihre Kopfschmerzen. Der maskierte und der Mann, der den restlichen Kriegern vom Rang her übergeordnet zu sein schien, wechselten ein paar harsche Worte. Anschließend kam jener Krieger mit einer Schüssel dampfenden Inhalts zu ihr. Erst jetzt bemerkte Elea, dass sie einen Bärenhunger hatte. „Hier, Mädchen. Ihr müsst etwas essen, damit ihr wieder zu Kräften kommt. Ich bin übrigens Jadora, der Hauptmann von diesem Haufen“, sagte der Mann in sanftem Ton. Elea begann sofort, das Essen nicht gerade manierlich in sich hineinzuschaufeln. Zu ihrem Entführer mit dem Kopf hindeutend fragte sie den freundlichen Krieger: „Und wer ist dieser Mistkerl? Wie ein Krieger des königlichen Heers sieht er jedenfalls nicht aus. Er ist der, den man den
schwarzen Jäger
nennt, nicht wahr?“
„ Ja. Er heißt Maél.“ Als Elea den Namen hörte, verschluckte sie sich so sehr, dass sie den letzten Bissen Eintopf – oder was auch immer das war, was sie da zu sich nahm – in hohem Bogen wieder ausspuckte. Jadora sah sie verwirrt an und auch die Aufmerksamkeit des Maskenmannes hatte sie mit dieser Reaktion erregt. „Wie kann jemand, der so brutal, so herzlos, so unmenschlich ist, einen so schönen Namen haben?!“, sagte sie absichtlich in einer Lautstärke, dass auch ihr Peiniger sie verstehen musste. Ihre Worte klangen dabei fassungslos, aber auch eine Spur sarkastisch. „Maél! Maél! Maél! Das klingt so sanft und zart. Das ist ja lächerlich. Ein Monster wie er!“ Maél erhob sich abrupt von seinem Platz und warf seine Holzschüssel mit einem lauten Poltern auf einen in der Nähe gelegenen Stein. Er kam auf sie zugestampft und blaffte sie an. „Steht auf! Ich zeige euch eine Stelle, wo ihr Eure Notdurft verrichten könnt, bevor wir uns schlafen legen.“ Bei diesen Worten spürte Elea sofort einen Knoten in ihrem Magen. Sie befürchtete schon, dass der hochsteigende Würgereiz das Essen wieder nach draußen beförderte. Hilfesuchend schaute sie von Maél zu Jadora.
Mit ihm werde ich ganz bestimmt nirgendwo hingehen, um meine Notdurft zu verrichten!
Jadora machte eine Geste, als ob er sich anbieten wollte, mit ihr zu gehen, was Elea mehr als entgegengekommen wäre. Doch der hochgewachsene Mann forderte ihn unwirsch auf, seinen Schlafplatz vorzubereiten, woraufhin der Hauptmann sich zähneknirschend entfernte. „Dazu besteht momentan keine Notwendigkeit“, antwortete sie ihm schließlich kalt. „Gut. Wie Ihr meint.“ Daraufhin ging er zu seinem Pferd, nahm ihm - zwischendurch immer wieder auf die Vorderhand klopfend und liebevoll auf es einredend – den Sattel mit dem Gepäck ab. Er ergriff Eleas Bündel und warf es ihr zu. „Trinkt noch, bevor ihr Euch schlafen legt!“ Auf diese Aufforderung hin konnte sich Elea nicht verkneifen, eine spitze Bemerkung von sich zu geben. „Eure Sorge um mein leibliches Wohl rührt mich.“ Von Maél war diesmal nur ein leiser Knurrlaut zu hören, während er sich weiter an seinem Pferd zu schaffen machte. Elea löste daraufhin ihren Umhang vom Rucksack und breitete ihn auf der Erde aus. Anschließend nahm sie ihren Wasserschlauch und trank – wohl oder übel wie ihr geheißen wurde -, einfach aus dem Grund, weil sie nach dem würzigen Etwas einen gewaltigen Durst verspürte. Als sie jedoch merkte, dass sie ihn fast leer getrunken hatte, war es bereits zu spät.
Entweder muss ich mir heute Nacht in die Hose machen oder ich muss mich von diesem Mistkerl irgendwo hinführen lassen, um meine Notdurft unter seiner strengen Bewachung zu verrichten.
Im Moment neigte sie noch zur ersten Alternative.
Maél hatte inzwischen sein Schlaffell geholt und war im Begriff, es neben ihren Platz zu legen. Sie schaute schockiert zu ihm hoch. „Dachtet ihr, ich lasse Euch hier ungefesselt
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