Die Traene des Drachen
blieb ganz gelassen. „Und wenn ich dir sage, dass sie es wissen? Ist dein Leben dadurch in irgendeiner Weise für dich spürbar komplizierter geworden?“
„ Du hast es ihnen tatsächlich verraten?!“, schrie sie ihm geradezu ins Gesicht. Es fehlte nicht viel und sie hätte sich auf ihn gestürzt. Aber Kellen nahm ihre Hände fest in seinen Griff. „Du kannst dich wieder beruhigen. Ich habe ihnen gar nichts verraten. Sie sind von ganz allein drauf gekommen. Mutter sprach mich auf ihre Vermutung hin, die in dieselbe Richtung ging, an. Ich schaute sie nur an und ging, ohne ein Wort zu sagen. Das war Antwort genug für sie. Dann haben wir nie wieder ein Wort darüber verloren.“ Elea bezwang allmählich ihre Wut, sodass Kellen ihre Hände loslassen konnte. Dafür hatte sie mit einem Mal mit ganz anderen Empfindungen zu kämpfen: Sie hatte plötzlich ein schlechtes Gewissen und fühlte sich schäbig, weil sie ihnen ihr Geheimnis nicht anvertraut hatte. „Oh nein! Ihr habt es die ganze Zeit gewusst und habt es euch nicht anmerken lassen. Seit wann wisst ihr es schon?“ schluchzte Elea. Kellens Offenbarung brachte das Fass zum überlaufen. Sie brach hemmungslos in Tränen aus und schlug ihre Hände vors Gesicht. Kellen nahm sie behutsam in die Arme. „Ich kam zu der Erkenntnis vor etwa fünf Jahren und Vater und Mutter nur kurze Zeit später. Wir hielten es, ohne dass wir es miteinander abgesprochen hatten, besser, dich nicht darauf anzusprechen. - Elea, du vergisst, dass wir eine Familie sind und dass wir uns gegenseitig sehr gut kennen. Du bist etwas ganz Besonderes, auch ohne diese verfluchte Prophezeiung. Vater und Mutter erzählten mir von deinen Eltern und deiner Bestimmung an meinem fünfzehnten Geburtstag. Sie gaben mir sogar das Schriftstück zu lesen. Ich hielt sie für verrückt, weil sie davon überzeugt waren, dass irgendwann der Tag kommen würde, an dem du dich deiner geweissagten Bestimmung stellen müsstest. Aber dann…“ Kellen räusperte sich verlegen. Elea hatte sich inzwischen von seinen Armen gelöst und sah ihn neugierig an. „Ja?“
„ Du weißt schon! Am Tag von Kaitlyns Geburt, als du zum ersten Mal deine Mondblutung hattest und dein Haar von da an im Dunkeln zu leuchten begann, da fing ich allmählich auch an, daran zu glauben.“ Elea streichelte Kellens Wange, während er ihr gequält in die grünen Augen sah. „Es tut mir leid, dass ich dich vorhin so angeschrien habe, aber ich dachte… Und heute sind mir so viele unheilvolle und unerwartete Nachrichten mitgeteilt worden. Es war einfach zu viel. - Siehst du! So stark bin ich nicht. Auch ich habe heute - an diesem wohl schlimmsten Tag meines Lebens - Tränen vergossen.“ Bei diesen Worten brach Kellen in schallendes Gelächter aus. „Was gibt es denn da zu lachen?“
„ Man eröffnet dir, eine Drachenreiterin zu sein und die Welt vor dem Bösen retten zu müssen und du zuckst nicht mit der Wimper. Aber als du erfährst, dass wir von deiner geheimen Gabe wissen, brichst du in Tränen aus. Findest du das etwa nicht zum Lachen?!“
„ Hahaha! Sehr witzig. Du lachst und ich muss euch morgen schon verlassen.“ Kellens Miene verdüsterte sich jäh. „Du hast recht. Verzeih mir! Aber du brauchst keine Angst zu haben. Vater und ich werden dich begleiten und dich vor den Kriegern verstecken. - Mein Vorsprung gegenüber ihnen ist sicherlich nicht groß genug, als dass wir noch tagelang unsere Flucht planen können. Aber Vater wird schon einen Ort finden, wo wir uns verstecken können! Da bin ich mir sicher.“
In Eleas Hals wuchs ein Kloß heran, den sie kaum hinunterschlucken konnte. Einerseits war sie gerührt, dass Albin und Kellen sie nicht im Stich lassen wollten. Andererseits jedoch fand sie es viel zu gefährlich, Breanna mit Louan und Kaitlyn einfach allein zu lassen. Aber mit Kellen darüber zu diskutieren war zwecklos. Das wusste sie. Er konnte stur wie ein Esel sein, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte. „Ich glaube, wir sollten uns langsam auf den Heimweg machen, sonst machen sie sich Sorgen. Zudem wird Breanna nicht begeistert sein, wenn wir nicht rechtzeitig zum Essen zu Hause sind. Sie wollte uns nämlich ein leckeres Mahl bereiten, wenn man so will meine Henkersmahlzeit.“
„ Du mit deinem Galgenhumor“, schnaubte Kellen und zog Elea etwas ungehalten mit sich in die Höhe. Sie konnte ihren Blick nicht von den Enten lösen, die unterdessen in Reih und Glied in die Mitte des Sees hinausschwammen und
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