Die Tränen meines Vaters
familiären Zwiespalt geraten und in eine emotionale Bigamie verwickelt war. Da waren seine erste Frau, die in seinen Träumen eine gewisse porzellanhafte Glätte hatte, und seine zukünftige Frau, deren Kummer an vielen Stellen des Traumbilds zu spüren war, indes er sich mühte, die Teile dieses Menschenpuzzles festzuhalten.Seltsamerweise verlor er in seinen Träumen immer die zweite Frau – sah sie fliehen und in der Ferne sich verlieren –, sodass es jedes Mal ein leiser Schock war, wenn er aufwachte und sah, dass Grace und nicht seine erste Frau, Gloria, neben ihm im Bett lag, seit zwanzig Jahren nun schon. Seine Verwirrung löste sich nach und nach in Erleichterung auf, und er schlief wieder ein, ein lebendiger Verband, der sich über eine Wunde legt. Seine Kinder, jetzt mittleren Alters, kamen in den Traumdramen verschwommen vor, in Gestalt wechselnder Teilnehmer einer vielköpfigen Festgesellschaft, die sich auf halber Treppe eingefunden hatte; das Hauptelement der Party war jedoch nicht Fröhlichkeit, sondern Schmerz, ein Schmerz, der klebrig gemischt war aus Unentschlossenheit, unausgesprochenen Entschuldigungen und unerträglicher Ungewissheit. Craig wachte auf und sah, dass die Party längst vorbei war, dass er ein alter Mann war und seine Tage harmlos auf vier Hektar Land verbrachte, das mit dem gesprenkelten Mulch früherer Generationen bedeckt war. Er wurde selten irgendwohin eingeladen.
Die Partys waren Vehikel gewesen für Flirt und Erkundung, ein Zug aneinandergekoppelter Wochenenden, der sie alle in ausgelassenem Getöse mit sich nahm; er und seine Freunde standen in der Blüte ihres Lebens und erwarteten, dass, so amüsant und wunderbar alles war, ganz sicher noch Wunderbareres geschehen müsse. Es gab zwei simultane Partys, zwei Party-Schichten – die offen zutage liegende Schicht, da sie sich als Erwachsene über lokale Politik unterhielten, über nationale Belange (für gewöhnlich war Richard Nixon das Hauptthema), über ihre Autos und Schulen für ihre Kinder, über Baulanderschließungsausschüsse und Renovierungen ihrer Häuser, und dann die unterschwellige,da Männer und Frauen mit raschen Blicken und geflüsterten Worten kommunizierten, mit einem Druck der Hand und übermäßiger Heiterkeit. Diese zweite Schicht untergrub manchmal die obere und mit ihr das scheinbar solide Gefüge der eng verquickten Familien.
Cocktailpartys waren tödliche Getümmel, bei denen Liebende mit einem Murmeln Verabredungen aufkündigten oder sich über Abtreibungen einigten. Craig sah vor seinem inneren Auge in einem Flur in einem oberen Stockwerk vor einer Badezimmertür eine Frau, noch jung, mit glattem Gesicht und glatten Armen, die auf ihn zukam, die Lippen zum Kuss gespitzt, und leise «Angsthase» sagte, als er ihr auswich. Aber an wie viele Augenblicke aus jener fernen Zeit er sich auch erinnerte, für jeden gab es Hunderte, die er vergessen hatte und die sich im Gestrüpp dieser immer wiederkehrenden Partyträume in sein Bewusstsein zurückkämpften. Was er in diesen Träumen empfand, war immer dasselbe: Lampenfieber, ein schuljungenhaftes Gefühl, dass das, was er darstellte, zu groß für ihn war, zu ewig in seiner Bedeutung.
Er wachte auf und war erleichtert, der Aufruhr hatte sich gelegt, seine jetzige Frau war nicht mehr im Bett, sie rumorte schon unten im Haus. Manchmal wachte er in einem anderen Bett auf, weil er auf seine alten Tage hilflos, abstoßend schnarchte und ins Gästezimmer verwiesen wurde. Beim Aufwachen in diesem Zimmer fanden seine Augen an der Wand gegenüber ein Bild, das im Haus seiner Kindheit gehangen hatte – in den verschiedenen Häusern in Pennsylvania, die seine Familie bewohnt hatte. Das Bild, ein rührendes, ihm teures Zeugnis für Kultur, das seine Mutter für (wenn er sich recht erinnerte) fünfunddreißig Dollar in einem Bilderrahmenladen gekauft hatte, zeigte eine Landschaft in Massachusetts,einige hohe Dünen in Provincetown, ganz hinten ein flaches Dreieck aus Wasser, ein Blick aufs Meer, gerahmt von den beiden entferntesten Sandhügeln. War es dies Bild gewesen, das ihn aus jenem Commonwealth in dieses geführt hatte, in das Haus auf dem Hügel mit seiner diskreten Aussicht aufs fünfhundert Meter entfernte Meer?
Verschiedene andere Überbleibsel aus seiner Kindheitswelt waren wie Strandgut ins Haus gespült worden: die in Fraktur beschriftete Rasierschale seines Großvaters; ein eingekerbter kupferner Aschenbecher, in dem der Vater – der kleine Craig
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