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Die Tränen meines Vaters

Die Tränen meines Vaters

Titel: Die Tränen meines Vaters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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Gummihandschuh, wackelte auf dem weißen Laken. Craig nahmsie in seine, vorsichtig, um die intravenösen Schläuche am Handgelenk nicht zu verrücken. Die Hand war warm und fühlte sich seidig an, wie eine Frauenhand – sie hatte seit einigen Jahren keinen Golfschläger mehr geschwungen –, aber sie schien ohne Leben, obwohl sie den Druck von Craigs Hand erwiderte. Unsere Körper, dachte Craig, sind ein schwerfälliges Überbleibsel, das der Geist zurücklässt.
    Eines der Häuser seiner Kindheit war ein Farmhaus gewesen, ein paar Hektar Land gehörten dazu, und als er an einem einsamen Nachmittag allein das kleine Gehölz erkundete, war er auf eine alte Familien-Müllkippe gestoßen – einen fast ganz mit Efeu bewachsenen Hügel aus Glasflaschen mit erhabenen Beschriftungen, so selbstgewiss und dauerhaft wie die Inschriften auf Grabsteinen. Viele der Flaschen waren zerbrochen, obgleich das Glas für heutige Begriffe erstaunlich dick war, eine Art Kandis, der gezackte Rand bildete eine dritte Oberfläche, zwischen der inneren und der äußeren. Malzbraun, meerblau, beryllgrün, bernsteingelb, weißlich trüb, trugen sie in erhabener Schrift die Namen stillgelegter örtlicher Abfüllanlagen. Die Flüssigkeiten, die sie enthalten hatten, waren verdunstet oder ausgetrunken, ob die Getränke und Arzneien nun zum Guten oder zum Schlechten gewesen waren – nicht einmal so viel wie eine schlammige kleine Pfütze im Oval eines alten Reifens war noch übrig. Der Haufen, dieser Beweis für die Tiefen der Zeit, hatte den kleinen Craig erschreckt, wie ein Haufen Knochen es getan hätte, aber in seiner ländlichen Isolation war diese Müllkippe in dem abgelegenen Winkel des Gehölzes, ohne dass er sich dessen bewusst war, eine glitzernde, heitere Gesellschaft für ihn gewesen.
    Mit dem Müllbeutel in der Hand über sein eigenes Landstreifend, fand er in der Senke jenseits des vereinzelten Felsbrockens und des verbrannten Handschuhs mehrere halb begrabene Golfbälle, die Unterseiten von der sauren Erde braun verfärbt, die Hartgummihüllen schon leicht verrottet. Er erinnerte sich, wie er in seiner ersten Zeit hier, als er noch hoffte, ein guter Golfer zu werden, sich an den Rand des Rasens gestellt und ein paar alte Bälle – sparsam nie mehr als drei auf einmal – in den Wald unten geschlagen hatte. Sie schienen für immer zu fliegen, bevor sie in den Bäumen verschwanden. Er hatte nie damit gerechnet, sie wiederzufinden. Sie markierten, nahm er an, den Beginn
seiner
Epoche.

Frei
    «Sie hat so schöne Augen.» Diese Bemerkung war von seiner Mutter gekommen, bei einem ihrer Besuche in der Stadt, in der Henry und Leila, verheiratet mit anderen, damals lebten. Sie konnte nicht gewusst haben, dass ihr Sohn und Leila eine Affäre hatten – eine, die wie ein Grasfeuer jedes Mal wieder aufflammte, wenn sie dachten, sie hätten es ausgetreten. Aber Leila wusste natürlich, dass es die Mutter ihres Geliebten war, und dieses Wissen gab den ungezwungenen Höflichkeiten, die sie der älteren Frau in der Unterhaltung erwies, eine zusätzliche Lebhaftigkeit, ein Augenfunkeln. Einmal war Leilas Mutter zu Besuch in ihrer überhitzten kleinen Stadt, und Henry hatte sich gewundert, als er auf der kleinen Party, die ihre Tochter gab, das Profil der stämmigen Frau von Mitte sechzig betrachtete, dass eine so unattraktive, geschlechtslose Person eine solche Schönheit hervorgebracht haben konnte, eine so geschmeidige, wollüstige Anstachlerin männlichen Entzückens.
    Die Bemerkung seiner Mutter hatte seiner unerlaubten Leidenschaft einen gespenstischen Segen gegeben; den beiden Frauen war eine Liebe zur Natur gemein – sie kannten die Namen von Vögeln und Blumen, und wenn er undLeila zusammen sein wollten, trafen sie sich oft in der Wildnis, am waldigen Ende einer benachbarten Stadt in einem Cottage am See, das eine freisinnige Freundin, eine ältere Frau, ihr zur Verfügung stellte. Die klamme Kühle der Vor- oder Nachsommerzeit und der modrige Geruch der Segeltuch- und Korbmöbel, der kahlen Matratze und des nicht angeschlossenen Kühlschranks wichen den Aromen ihrer eigenen nackten Wärme, indes vor dem Fenster der See glitzerte und Eichhörnchen über das Dach liefen. Leila unter sich, goss er seinen Blick in ihre geweiteten Augen, die wirklich schön waren, ein helles Braun, gemischt aus Grün und einem rötlichen Braun rings um die schwarzen Pupillen, die durch den Schatten seines Kopfes vergrößert waren. Das Cottage hatte ein

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