Die Träume der Libussa (German Edition)
doch konnte er darin
nicht die erhoffte Begeisterung erkennen.
„Mir ist auch
aufgefallen, wie gut Thethka sich durchsetzen kann und wie schnell sie andere
Menschen auf sich aufmerksam macht“, bemerkte die Keltin. „Aber sage mir, Krok,
wozu nutzt sie diese Fähigkeiten? Um Recht zu schaffen und Streit zu
schlichten? Oder geht es ihr nicht eher darum, für ihr eigenes Wohl zu sorgen,
manchmal auch auf Kosten anderer?“
Krok fühlte
sich, als wäre ein unbekannter Gegner plötzlich von einem Baum gesprungen, um
sich auf ihn zu stürzen. Auf einmal ärgerte er sich über das Gespräch mit der
Priesterin und fragte sich, warum er eigentlich hergekommen war. „Natürlich ist
sie ein wenig rücksichtslos. So sind starke Menschen eben, solange sie jung
sind. Verständnis für andere, das kommt erst mit den Jahren.“
„In manchen
Fällen. Aber auch bei Thetka?“ Die Priesterin schien nicht zu bemerken, dass
ihre Frage ihm missfiel. Oder es war ihr gleichgültig. Ihr Gesicht verriet
nichts.
„Ich würde es
sie lehren“, lenkte er ein, „Thethka braucht die nötigen Weisungen, um auf den
richtigen Weg zu kommen, so wie alle jungen Menschen. Ich habe großes Vertrauen
in ihre Fähigkeiten.“
Die Priesterin
nickte. Sie stocherte mit einem Stab in den glühenden Scheiten herum, da die
Flammen zu erlöschen drohten. Kroks Anwesenheit schien sie vergessen zu haben,
das Feuer nahm ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch.
„Warum bist du
zu mir gekommen, wenn deine Wahl bereits getroffen ist?“, fragte sie nach einer
Zeit des Schweigens, die dem Stammesführer endlos erschien.
Wieder hatte
Krok das Gefühl, unerwartet angegriffen zu werden. Diesmal aber erkannte er die
Ursache seines Zorns. Die Priesterin hatte ihn besser durchschaut als er sich
selbst. „Ich wollte deinen Segen als Dienerin der Göttin. Ich weiß, wenn du
meine Wahl gutheißt, dann hätte meine Schwester dies auch getan“, antwortete er
ehrlich. Die Priesterin schien das zu würdigen, denn diesmal ließ sie ihn nicht
warten, bevor sie antwortete. „Ich heiße deine Wahl nicht gut, Krok. Du
bevorzugst Thethka, weil sie dir gleicht, weil es ihr darum geht, zu erringen
und zu behalten. Willst du, dass der Stammesführer und die Hohe Priesterin des
Volkes der Behaimen sich gleichen? Dass sie von derselben Art sind? Dann wähle
Thethka, und du hast trotz allem meinen Segen.“
Krok musterte
die Keltin staunend. Ihr Vorwurf hatte so sicher ins Ziel getroffen wie der
Pfeil eines geübten Schützen. „Natürlich soll die Hohe Priesterin anders sein
als der Stammesführer. Sie ist die Tochter der Göttin, zuständig für Eintracht
in unserem Volk und für sein Wohlergehen. Aber wir waren uns doch einig, dass
Kazi trotz ihrer Heilkünste gänzlich ungeeignet ist. Thethka denkt in vielen
Dingen selbstsüchtig und will im Mittelpunkt stehen, doch mit dem richtigen
Einfluss …“
„Gibt es nicht
noch eine dritte Tochter?“
Diesmal zögerte
Krok lange mit seiner Antwort. Die Frage der Priesterin ließ ihn an deren
Fähigkeiten als weiser Frau zweifeln.
„Libussa ist
noch ein Kind“, meinte er schließlich.
„Kinder werden
erwachsen, Krok. Du hast selbst gesagt, junge Menschen brauchen Zeit, um den
richtigen Weg zu finden. Außerdem ist aus Libussa längst eine junge Frau
geworden. Sie hat an eurem letzten Fest zu Ehren der Göttin teilgenommen.“
„Ja, und
seitdem reitet sie ständig fort, um sich mit irgendeinem jungen Mann zu
treffen, wie ich vor kurzem erfahren habe. Einem Bauernjungen! Selbst als ihre
Mutter starb, war sie bei ihm.“
„Sie ahnte
nichts davon, wie nah ihre Mutter dem Tode war, Krok. Als Libussa aufbrach, gab
es noch keine Anzeichen einer Krankheit. Oft kann sie Ereignisse voraussehen,
aber zurzeit ist sie, nun ja, mit anderem beschäftigt.“ Die Priesterin lächelte
nachsichtig, als hätte sie Verständnis für das Mädchen. Eine seltsame Haltung
bei einer Frau, die ihr Leben der Göttin geweiht hatte, fand Krok.
„Libussa rennt
jeder Laune hinterher, von ihren Wünschen und Sehnsüchten getrieben. Was für
eine Fürstin und Hohe Priesterin wäre sie?“
„Hattest du
nicht auch einmal deine Sehnsüchte, Krok?“
Er senkte den
Blick und fragte sich, ob die Priesterin von Aislinn, der hübschen Keltin,
wusste. Oder von den vielen anderen, die es vor ihr in seinem Leben gegeben
hatte. Auch Scharka, seine Schwester, war in diesen Dingen nicht zurückhaltend
gewesen. Kazi hatte die dunklen Haare ihres keltischen
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