Die Träume der Libussa (German Edition)
wäre?“
Krok warf ihr
einen ungeduldigen Blick zu. Warum hatten Weise und Seher nur diese Unart,
klare Antworten zu verweigern? Auch Dragoweill, der Anführer der Wilzen, klagte
oft über die endlos langen, widersprüchlichen oder rätselhaften Aussagen seiner
Druiden. „Leider hat sie mit mir nie darüber gesprochen“, sagte er höflich,
„Deshalb komme ich jetzt zu dir.“
„Aber du kennst
sie doch, deine drei Nichten. Warum entscheidest du nicht selbst, Stammesführer
der Behaimen?“
Warum
beantwortest du nicht einfach meine Frage, Priesterin der Kelten?, dachte Krok
ungeduldig, wählte aber seine tatsächlichen Worte mit größerer Vorsicht:
„Dies scheint
mir eine Angelegenheit der Frauen zu sein.“
Falls die
Keltin diese Aussage löblich fand, so zeigte sie es nicht. „Dann nenne mir die
Aufgaben einer Fürstin und Hohen Priesterin. Was soll sie tun, das dir als
Stammesführer nicht zusteht?“
„Als Hohe
Priesterin vertritt sie die Sonnengöttin Mokosch auf Erden. Deshalb leitet sie
die religiösen Feiern und Zeremonien aller Behaimen. Unsere Leute können in
Streitfällen zu ihr kommen. Meine Aufgabe als Stammesführer ist es, Verhandlungen
mit anderen Völkern zu führen. Und ich kann die fürstlichen Clans all unserer
Stämme auffordern, mit mir in den Krieg zu ziehen. Doch ohne die Zustimmung der
Hohen Priesterin verstößt jeder Kriegszug gegen die Wünsche der Götter.“
Er und seine
Schwester Scharka hatten sich jedoch nicht nur diese Aufgaben geteilt. Sie
waren die zwei wichtigsten Pfeiler gewesen, die das Herrschaftsgebäude
stützten. Absprachen mit anderen behaimischen Stämmen wie den Lukanern, den
Lemuzi oder den Kroaten, Verträge mit den Häuptlingen der benachbarten Völker
und auch die Fragen des Umgangs mit den verbleibenden keltischen Grüppchen in
den Wäldern, all das hatten sie in Übereinkunft entschieden. Die Erinnerung an
Scharka stach ihn wie ein Messer. Warum musste ein Mensch so schnell, so
unerwartet an einem scheinbar harmlosen Fieber sterben? Es war großenteils
Scharka zu verdanken, dass nun Frieden im Umland herrschte. Die Vorstellung,
von jetzt an allein für das Wohl seines Volkes verantwortlich zu sein,
erschreckte Krok. Seine drei Nichten waren noch heranwachsende Mädchen, die
ihre Mutter keinesfalls ersetzen konnten. Angst und Unsicherheit hatten den
Stammesführer zu der Priesterin getrieben, doch als Krieger hüllte er sich
darüber in Schweigen.
„Beschreibe mir
die drei Mädchen, Krok. Was sind ihre guten Eigenschaften und welche ihrer
Eigenarten missfallen dir?“
Krok seufzte
erleichtert.
„Kazi“, begann
er, „ist die Älteste. Sie beschäftigt sich viel mit der Kräuterkunde und mit
der Heilkunst. In dieser Hinsicht vertrauen ihr unsere Leute. Sie trifft sich
manchmal mit den weisen Frauen der Kelten und Germanen, ja sogar mit den
Druiden, um von ihnen zu lernen.“
Die Priesterin
nickte. „Ja, sie ist auch bei mir gewesen. Ein sehr wissbegieriges Mädchen.
Aber nun sage mir, Krok, glaubst du, sie wäre eine gute Fürstin und Hohe
Priesterin? Immerhin haben die Menschen Vertrauen zu ihr.“
Krok schüttelte
entschieden den Kopf. Diese Frage war einfach zu beantworten.
„Kazi lebt in
ihrer eigenen Welt. Manchmal treibt sie sich tagelang in den Wäldern herum, um
nach Kräutern zu suchen. Anderes beschäftigt sie kaum. Zwar vermag sie die
körperlichen Leiden der Menschen zu lindern, aber sonst meidet sie Gespräche.
Am liebsten ist sie allein oder unter anderen Heilern, mit denen sie über
Salben und Tränke reden kann. Die Fürstin der Tschechen muss sich mit allen
Belangen unseres Volkes befassen. Außerdem sollte sie gut mit Menschen umgehen
können. Kazi ist zu verschlossen.“
„Da stimme ich
dir zu, Krok. Und wie ist es mit der nächsten Tochter?“
Krok dachte
gern an das große, kräftige Mädchen. Von seinen drei Nichten glich Thethka
ihrer verstorbenen Mutter am meisten. Zu wissen, dass es sie gab, war
erleichternd wie ein kühler Schluck Wein nach einem schweren Tag.
„Thethka ist
ganz anders als Kazi. Sie will an allem teilhaben. Schon als kleines Mädchen
bat sie mich, ihr das Bogenschießen beizubringen. Sie ist eine verflucht gute
Jägerin geworden. Jedes Mal, wenn ich von einer Reise zurückkehre, fragt sie
mich über andere Völker und ihre Sitten aus. Sie versteht es, sich in
Auseinandersetzungen zu behaupten. Bei meinen Leuten ist sie sehr angesehen.“
Er blickte erwartungsvoll in das Gesicht der Priesterin,
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