Die träumende Welt 01 - Der Traumstein
Erdreich mit einer Reihe geübter Bewegungen, fasste die Pflanze mit dem Haken und riss sie ruckartig in die Höhe. Zum Vorschein kam eine Wurzel, die sich an einer Stelle zu einer knollenartigen Wucherung verbreiterte, halb so groß wie Ardens Unterarm. Diesen Teil schnitt er heraus und brachte ihn hinüber zu Gemma. Auf dem Weg dorthin hob er weiteres Gerät auf. Er ging in die Hocke, legte die Wurzel in das Gerät aus Hartholz, das wie eine Kreuzung aus einem Blasebalg und einem überdimensionalen Nussknacker aussah, und presste die Griffe zusammen.
»Halte die Hände hier drunter«, wies er sie an und zeigte dabei auf eine kleine Abflussöffnung am unteren Ende. Gemma gehorchte und legte die Hände gewölbt zusammen, während Arden die Griffe in entgegengesetzter Richtung drehte. Zu ihrer Überraschung kam Wasser herausgesprudelt, füllte ihre Hände und spritzte auf das Bodenblech.
»Nicht zu fassen«, sagte sie atemlos.
»Normalerweise bin ich nicht so verschwenderisch«, meinte Arden, während er die Wurzelschale herausnahm und sie in die Höhe hielt. »Die Pferde mögen das. Man selbst könnte es auch essen, wenn man nichts anderes hätte, aber es schmeckt ... recht unangenehm.«
»Wo kommt das alles her?«
»Hier regnet es nicht oft«, antwortete Arden, »aber wenn, dann speichern die Dornbüsche so viel Wasser, wie sie können. Sonst könnten sie nicht überleben.«
»Und wir auch nicht.«
»Alles, was man braucht, ist das Wissen und die Werkzeuge«, sagte Arden mit einem Lächeln.
»Jetzt sag bloß nicht«, meinte Gemma, »Du hast das selbst entworfen.«
4 . KAPITEL
Später am selben Tag erzählte Gemma Arden, wie es dazu gekommen war, dass sie alleine durch die Wüste wanderte. Eigentlich hatte sie das vermeiden wollen, denn in der Rückschau erschien die ganze fürchterliche Folge von Geschehnissen - und ihr Anteil daran - ziemlich töricht. Trotzdem, sie wusste, dass sie Arden früher oder später irgendeine Erklärung würde liefern müssen. Als sie dann jedoch angefangen hatte, erwies er sich zu ihrer Erleichterung als aufmerksamer und einfühlsamer Zuhörer und legte seinen schnoddrigen Zynismus ab. Mit dem Erzählen fiel ihr das Erinnern irgendwie leichter. Die größte Ironie von allem war, dass alles in solch heiterer, optimistischer Stimmung begonnen hatte ...
Decks und Kabinen der Dawn of Fire hallten wider von Gelächter und vergnügtem Geschrei. Die ausgelassene Stimmung der Passagiere war der Mannschaft ein Rätsel, doch schon bald ließen sie sich von der festlichen Stimmung anstecken und brachten das Schiff auf Kurs Richtung Süden.
An Bord befanden sich zwölf Passagiere, acht Männer und vier Frauen, die von allen Gegenden der Insel und aus sämtlichen Bereichen des Lebens stammten. Ihre Vorgeschichten hätten nicht unterschiedlicher sein können, doch an jenem Tag waren sie enger miteinander verbunden als jede Familie und verstanden sich untereinander besser, als Worte es hätten ausdrücken können. Ein paar von ihnen wussten, wer Gemma war, doch sie sprachen nicht darüber. Die Vergangenheit war bedeutungslos, was zählte, war die Zukunft. Bei diesem Abenteuer waren alle gleich.
Sie selbst nannten sich die >Schwalben<, nach den Vögeln, die zu jedem Blattfall nach Süden zogen. Der Name war in doppelter Hinsicht passend, denn auch sie zogen nach Süden, aus demselben unbegreiflichen Grund. Sie waren gerufen worden.
Keiner konnte seinen Drang zu reisen erklären, und doch wusste jeder, dass ihn etwas erwartete dort unten im Süden, vielleicht auf jenem sagenhaften Südkontinent, der vor wenig mehr als einem Jahrzehnt plötzlich zu existieren begonnen hatte. Jeder hatte diesen Drang schon eine Weile gespürt, und jeder hatte seinen ganz persönlichen Kampf mit Freunden und der Familie austragen müssen - und mit sich selbst, bevor er sich eingestehen musste, dass sich der Traum nicht leugnen ließ. Ihre Freude darüber, dass es noch andere wie sie gab, die das gleiche irrationale und übermächtige Verlangen trieb, war groß.
Die Gruppe hatte sich nur langsam gebildet, doch als sie vollzählig war, hatten sie ihren Plan rasch in die Tat umgesetzt. Durch Zusammenlegung ihrer finanziellen, geistigen und körperlichen Mittel hatten sie ihre Abreise ermöglicht. Gemma war die einzige der Gruppe, die vor diesem Zeitpunkt jemals die Gestade ihrer Heimatinsel verlassen hatte - und sie hatte Grund genug, über ihre Reisen zu schweigen doch die anderen zeigten keinerlei Anzeichen
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