Die Treibjagd
Beide, sie und ihre Schwester Christine, in reizende, grauwollene Kleidchen mit kleinen, rothen Vierecken gekleidet hatte. Es war gerade zu Weihnachten gewesen. Wie sehr hatten sie sich dieser gleichen Kleider gefreut! Die Tante verzog sie und schenkte ihnen sogar ein Arm- und Halsband aus Korallen. Die Aermel waren lang, das Leibchen reichte bis an's Kinn und der Schmuck lag ganz auf dem Zeug, was ihnen sehr gefiel. Renée erinnerte sich, daß auch ihr Vater zugegen gewesen, der mit seiner traurigen Miene gelächelt hatte. An diesem Tage waren sie, ihre Schwester und sie, im Kinderzimmer auf- und abgeschritten wie zwei große Personen, ohne zu spielen, um sich ja nicht zu beschmutzen. Im Kloster zur »Heimsuchung Maria« aber hatten sie ihre Kolleginen mit ihrem »Pierrotkostüm« geneckt, das ihr bis zu den Fingerspitzen reichte und die Ohren verdeckte, so daß sie während des Vortrages zu weinen begonnen. Und damit man sich nicht mehr über sie lustig mache, hatte sie während der Schulpause die Aermel emporgeschürzt und den Kragen des Leibchens eingeschlagen. Das Korallenhalsband und Bracelet däuchten ihr nun doppelt so schön auf der weißen Haut des Nackens und der Arme. Hatte sie an jenem Tage begonnen, sich nackt zu gefallen?
Ihr ganzes Leben zog an ihrem geistigen Auge vorüber. Sie sah den langen Rausch, dieses Toben des Goldes und des Fleisches, das in ihr immer ärger geworden, das ihr bis zu den Knieen, dann bis zum Bauche und schließlich bis zu den Lippen reichte. Und nun fühlte sie, wie die Fluth über sie hereinbrach und wild pochend an ihr Gehirn hämmerte. Es war das einem schlechten Safte vergleichbar, der ihre Glieder ermattete, ihr Herz mit den Auswüchsen einer schmachvollen Leidenschaft erfüllte und in ihrem Geiste krankhafte, thierische Begierden zeitigte. Dieser Saft hatte seine Herrschaft ausgeübt, wo sie sich auch befinden mochte, in den Kissen ihres Wagens, in anderen Kissen ebenfalls, auf all' diesem Sammt und dieser Seide, welche sie seit ihrer Verheirathung umgaben. Die Schritte Anderer mußten diesen Giftkeim an diesem Orte zurückgelassen haben, welcher sich immer mächtiger in ihren Adern entfaltete. Sie erinnerte sich ganz deutlich an ihre Kindheit. So lange sie klein war, hatte sich nur Neugierde oder Vorwitzigkeit in ihr geregt. Selbst später, nach jener Vergewaltigung, welche sie in die Arme des Schlechten gestoßen, hatte sie soviel Schmach und Schande nicht angestrebt. Gewiß, es wäre ein besseres Wesen aus ihr geworden, wenn sie sittsam bei Tante Elisabeth geblieben wäre. Und deutlich vernahm sie das Klappern der Stricknadeln der Tante, während sie starr in den Spiegel blickte, um in dieser friedlichen Zukunft zu lesen, die ihr entgangen war. Sie sah aber nichts Anderes, als ihre rosigen Schenkel, ihre rosigen Hüften, dieses fremde Weib in rosa Seide, das sie vor sich hatte und das für die Liebe der Puppen und Hampelmänner geschaffen schien. So weit war es mit ihr gekommen; sie war eine große Puppe geworden, deren zerrissene Brust blos noch einen dünnen, schwachen Ton von sich gab. Und angesichts der Scheußlichkeiten ihres Lebens machte sich das Blut ihres Vaters, dieses spießbürgerliche Blut, welches sie in ihren schweren Stunden so erbarmungslos quälte, geltend und empörte sich in ihr. Sie, die bei dem Gedanken an die Hölle stets von Zittern erfaßt worden, hätte ihr Leben eigentlich in den dunkeln Räumen des Hôtels Béraud verbringen müssen. Wer hatte sie denn ganz nackt entkleidet?
Und in dem bläulichen Schatten des Spiegels glaubte sie die Gesichter Saccard's und Maxime's erscheinen zu sehen. Saccard mit schwärzlichem, grinsendem Gesicht, sah eisenfarben aus, sein Lachen erinnerte an eine Beißzange auf dünnen, kleinen Beinen. Dieser Mann bedeutete einen Willen. Seit zehn Jahren sah sie ihn am Hochofen stehen, vom Glanze der glühenden Metalle bestrahlt, mit verbranntem Gesicht, keuchend, stets in Bewegung und Hämmer schwingend, die seine Kraft um ein Zwanzigfaches überstiegen, auf die Gefahr hin, sich selbst mit denselben zu zerschmettern. Nunmehr verstand sie ihn und er erschien ihr groß in seinen übermenschlichen Anstrengungen, in seinen Schurkenstreichen, die er in unerhörtem Maße betrieb, in seinem unablässigen Ringen nach einem ungeheuren Vermögen. Sie sah ihn über alle Hindernisse hinwegsetzen, sich im Kothe wälzen und sich nicht einmal Zeit zum Reinigen nehmen, nur um je früher anzulangen, ohne daß er unterwegs angehalten
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