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Die Treibjagd

Die Treibjagd

Titel: Die Treibjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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schien sich noch zu vertiefen; die Flammen der Kerzen wurden länger, weicher glitt die Melodie des Walzers über die Tapeten hin. Ganz leise zuckte Saccard die Schultern. Noch einmal blickte er seine Frau und dann seinen Sohn durchdringenden Auges an, als wollte er aus ihren Mienen eine Erklärung schöpfen, die ihm versagt blieb, worauf er das Schriftstück langsam zusammenfaltete und in seine Rocktasche steckte. Seine Wangen waren ganz bleich geworden.
    »Sie thaten ganz recht daran zu unterschreiben, meine liebe Freundin,« sprach er gelassenen Tones zu seiner Frau. »Sie haben damit hunderttausend Francs gewonnen, die ich Ihnen noch heute Abend einhändigen werde.«
    Er lächelte beinahe und nur seine Hände zitterten noch ein wenig. Er machte einige Schritte, worauf er hinzufügte:
    »Man erstickt ja hier. Welch' eine Idee, in diesem Dampfbade einen Eurer tollen Streiche auszuhecken!«
    Und sich zu Maxime wendend, der überrascht durch den friedfertigen Ton, welchen sein Vater anschlug, den Kopf emporgehoben hatte, nahm er von Neuem auf:
    »Vorwärts, komm'! Ich sah Dich hierher gehen und wollte Dich abholen, damit Du Dich von Herrn von Mareuil und seiner Tochter verabschiedest.«
    Damit entfernten sich die beiden Männer mit einander plaudernd. Renée blieb allein in dem Ankleidezimmer zurück und starrte auf die gähnende Oeffnung der kleinen Treppe, durch welche sie soeben die Schultern des Vaters und des Sohnes verschwinden gesehen. Sie vermochte die Augen von dieser Oeffnung nicht abzuwenden. Ei! sie hatten sich ruhig, unter freundschaftlichem Geplauder entfernt. Die beiden Männer hatten sich nicht entzweit. Angestrengt lauschte sie, als wollte sie das Geräusch zweier in wildem Ringen über die Treppe kollernder Körper vernehmen. Doch nichts regte sich. In der Dunkelheit ward nichts weiter hörbar, als die wiegenden Klänge der Musik; ja, sie meinte sogar von Weitem das Lachen der Marquise, die helle Stimme des Herrn von Saffré zu vernehmen. Das Drama war also zu Ende? Ihre Schuld, die heißen Küsse in dem grau-rosafarbenen Bette, die wilden Nächte im Treibhause, – all' diese fluchwürdige Liebe, die sie seit Monaten verzehrte, nahm ein so alltägliches, gemeines Ende? Ihr Gatte wußte Alles und hob nicht einmal die Hand gegen sie! Und diese Stille rings um sie her, diese Stille, in welcher blos die Klänge des endlosen Walzers vernehmbar wurden, erschreckte sie mehr als das Getöse eines Meuchelmordes. Sie fürchtete sich vor dieser Ruhe, vor diesem verschwiegenen, lieblichen Gemach, welches von dem Dufte der Liebe erfüllt war.
    Da erblickte sie sich in dem hohen Spiegel des Schrankes. Sie trat näher, ganz erstaunt darob, daß sie sich sah, und dabei vergaß sie an ihren Gatten, an Maxime, da die fremde Person, die sie da vor sich sah, sie völlig in Anspruch nahm. Der Wahnsinn bemächtigte sich ihrer immer mehr. Ihre gelben Haare, die sie an den Schläfen und am Nacken zurückgestrichen hatte, dünkten ihr eine Nacktheit, eine Unzüchtigkeit zu sein. Die Falte auf ihrer Stirne grub sich so tief, daß sie sich wie ein Schatten, wie die dünne, bläuliche Spur eines Peitschenhiebes über ihren Augen hinzog. Wer hatte sie doch derart gezeichnet? Ihr Gatte hatte ja nicht einmal die Hand gegen sie erhoben. Sie staunte über die Blässe, über die Farblosigkeit ihrer Lippen und ihre kurzsichtigen Augen schienen todt zu sein. Wie alt sie war! Sie neigte den Kopf und als sie sich in ihrem Tricot, in ihrer leichten Gazeblouse erblickte, betrachtete sie sich plötzlich erröthend mit gesenkten Wimpern. Wer hatte sie denn derart entkleidet? was wollte sie denn in diesem schamlosen Anzug einer Dirne, die sich bis zum Bauch entblößt? Sie wußte es nicht mehr. Sie betrachtete ihre Schenkel, welche das Tricot prall umspannte, ihre Hüften, deren volle Linien sie unter der dünnen Gaze verfolgte, ihre üppige Büste und eine tiefe Scham überkam sie, die Verachtung ihrer selbst erfüllte sie mit einem dumpfen Zorn gegen Jene, die es duldeten, daß sie so unter die Leute ging, blos mit dünnen Goldspangen an den Knöcheln und Handgelenken, die ihre Blöße verdecken sollten.
    Und wie sie da mit der Beharrlichkeit eines allmälig sich verwirrenden Geistes darüber nachgrübelte, was sie denn ganz nackt vor diesem Spiegel wolle, sah sie sich mit einem Male in ihre Kindheit zurückversetzt, als siebenjähriges Kind in den ernsten Räumen des Hôtels Béraud. Sie erinnerte sich eines Tages, da Tante Elisabeth sie

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