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Die Treibjagd

Die Treibjagd

Titel: Die Treibjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Nichts konnte einen kläglicheren Anblick bieten, als die farbigen Tapeten dieser Zimmer, die gelben oder blauen Papierfetzen, die bis zu einer Höhe von fünf oder sechs Stockwerken hinaufreichend, kleine, armselige Kabinete, enge Löcher kennzeichneten, in denen sich vielleicht ein ganzes Menschenleben abgespielt. An den nackten Wänden stiegen die trübselig schwarzen Schornsteine hinan. Eine vergessene Wetterfahne kreischte am Rande eines Daches, während die halb losgelösten Dachrinnen gleich alten Lumpen herunterhingen. Und der Durchschlag setzte sich inmitten dieser Ruinen schier endlos fort, gleich einer Bresche, durch Kanonenkugeln gerissen; die noch kaum angedeutete Straße dehnte sich von Schutt und Trümmern bedeckt, zwischen Erdaufschüttungen und Wassertümpeln unter dem grauen Himmel hin und über ihr schwebte die düstere Wolke der aufgewirbelten Staub- und Mörtelmassen, deren natürliche Grenzen die schwarzen Linien der Schornsteine zu sein schienen.
    Mit ihren blanken Schuhen, fleckenlosen Ueberröcken und hohen Hüten nahmen sich die Herren recht sonderbar aus inmitten dieses schmutziggelben Kothreiches, in welchem außer ihnen nur noch bleiche Arbeiter, bis zu den Ohren beschmutzte Pferde und Karren sichtbar waren, deren Holzgerüste von einer dichten Staubschichte gänzlich bedeckt waren. Sie schritten im Gänsemarsch hinter einander einher, sprangen von einem Stein zum andern, wichen den Tümpeln dünnflüssigen Kothes aus und versanken dennoch zuweilen bis zu den Knöcheln in demselben, worauf sie die Füße fluchend schüttelten. Saccard hatte den Vorschlag gemacht, durch die Rue de Charonne zu gehen, wodurch ihnen diese Wanderung durch dieses Trümmerreich erspart geblieben wäre; unglücklicherweise aber hatten sie mehrere Liegenschaften auf der langen Boulevardlinie zu besichtigen und da die Neugierde sie ebenfalls drängte, hatten sie beschlossen, die Arbeiten in der Nähe zu betrachten, zumal dieselben sie in hohem Grade interessirten. Zuweilen blieben sie schwankend auf einem Stück Mauerwerk stehen, steckten die Nase in die Luft und zeigten sich gegenseitig einen frei überhängenden Balken, ein Schornsteinrohr, welches in die Höhe ragte, eine Dachtraufe, die auf ein benachbartes Dach gefallen war. Dieser verwüstete Stadttheil am Ausgange der Rue du Temple däuchte ihnen sehr drollig.
    »Das ist höchst merkwürdig,« sagte Herr von Mareuil. »Sehen Sie doch, Saccard, dort oben ist eine Küche, und über dem Kochherde hängt noch ein alter Ofen ... Ich sehe denselben ganz deutlich.«
    Der Arzt aber war mit der Zigarre zwischen den Zähnen vor einem demolirten Hause stehen geblieben, von welchem nur noch das Erdgeschoß erhalten war, dessen Räume mit den Trümmern der übrigen Stockwerke angefüllt waren. Eine einzelne Mauer überragte den Trümmerhaufen und um dieselbe zu Falle zu bringen, hatte man ein Seil darum gewunden, an welchem etwa dreißig Arbeiter zogen.
    »Sie werden sie nicht umkriegen,« brummte der Arzt; »sie ziehen zu viel links.«
    Die vier Anderen waren zurückgekehrt, um die Mauer fallen zu sehen. Und starren Blickes, mit verhaltenem Athem erwarteten sie in freudiger Erregung den Fall der Mauer. Die Arbeiter ließen nach und zogen dann mit einem plötzlichen Ruck wieder an, wobei sie mit taktmäßigen Zurufen: Auf! Dran! sich selbst antrieben.
    »Sie werden sie nicht umkriegen!« wiederholte der Arzt.
    Doch nach einigen Minuten angstvoller Erwartung rief einer der Industriellen erfreut:
    »Sie bewegt sich! sie bewegt sich!«
    Und als die Mauer endlich nachgab und unter fürchterlichem Getöse eine ungeheure Staubwolke aufwirbelnd zusammenbrach, blickten die Herren einander lächelnd an. Sie waren entzückt. Ihre Ueberröcke bedeckten sich mit einem feinen Staube, der ihnen Arme und Schultern weiß färbte.
    Als sie jetzt ihren Gang zwischen den Trümmern fortsetzten, sprachen sie von den Arbeitern. Sie ließen nicht viel Gutes an denselben. Ihrer Ansicht nach waren das lauter Tagediebe, Vielfraße und derlei Dickköpfe, die nur dahin strebten, ihre Brodherren zu Grunde zu richten. Herr von Mareuil, der seit einigen Minuten mit einem geheimen Schauer zwei arme Teufel beobachtete, die an einer Dachecke hängend, eine gegenüberliegende Wand mit ihren Spitzhacken angriffen, wagte die Bemerkung, daß diese Leute doch einen bewunderungswürdigen Muth besäßen. Nun blieben auch die Uebrigen stehen und beobachteten die gleichsam in der Luft hängenden Arbeiter, die

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