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Die Treppe im See: Mystery-Thriller (German Edition)

Die Treppe im See: Mystery-Thriller (German Edition)

Titel: Die Treppe im See: Mystery-Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Malfi
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Handrücken rieb. »Ein echter Brüller.«
    »Nein«, wandte sie ein. »Hör zu.«
    »Mach ich.«
    »Ich ging ins Bad und schaltete das Licht ein. Dabei musste ich blinzeln, du weißt schon, weil es so hell war und ich schon geschlafen hatte. Kennst du doch, oder?«
    »Natürlich.«
    »Also kniff ich die Augen zusammen, guckte in den Spiegel, und weißt du was? Ich sah nicht mich, sondern jemand anderen darin.« Ihr Gesicht schien über dem weißen Gebirge des Kissens zu schweben und wirkte geisterhaft bleich, wie der Mond.
    »Weißt du, wen ich sah?«
    »Wen?«
    »Dich«, sprach Jodie. »Ich war du – nur für den Bruchteil einer Sekunde. Aber ich war du.«
    Ich beugte mich nach vorn und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Sie fühlte sich sehr warm an. »Du hast das geträumt«, erklärte ich ihr.
    »Nein«, widersprach sie. »Ich war hellwach. Was glaubst du, hat das zu bedeuten?«
    »Hab keine Ahnung«, gab ich zu und stopfte die Decken fester um sie herum.
    Jodie wälzte sich auf die Seite, wobei ich ein zaghaftes Lächeln auf ihren Lippen bemerkte. »Ich auch nicht.« Ihre Lider flatterten, ehe sie die Augen wieder schloss. »Das ist wohl das Schöne am Geheimnisvollen.«
    Nach dem dritten Kuss ging ich leise in den Flur und schaute nach dem Thermostat. Es zeigte nach wie vor zwanzig Grad an, obwohl es sich im Schlafzimmer wie unter zehn anfühlte. Ich sah sogar den Hauch meines Atems.
    »Verdammt, das ist lächerlich.«
    Im Büro gegenüber leuchtete etwas, also steckte ich den Kopf durch den Türspalt und machte die Lampe an. Jodie hatte ihren Tisch an die Wand gestellt. Der Bildschirm darauf strahlte sein amethystfarbenes Licht ab, daneben stand ein altertümlicher Drucker, und Jazz-CDs lagen verteilt auf der Arbeitsfläche. Die ganze Wand über dem Tisch war mit gerahmten Auszeichnungen tapeziert, Diplomen wie Abschlusszeugnissen und einer Liste der besten Studenten Amerikas neben einer Frau-des-Jahres-Plakette der alten Universität, an der sie ihr Grundstudium absolviert hatte. Am Boden stapelten sich Bücher über Psychologie sowie Ordner voller Fotokopien wie Türme einer gerade entstehenden Stadt, Diagramme und Kurven voller Textmarker-Linien. Ich fühlte mich schlecht, weil ich nicht sauber gemacht und Jodie damit sich selbst überlassen hatte.
    Zitternd ging ich wieder nach unten. Nach all dem Ärger mit der launischen, unzuverlässigen Heizung hatte ich mich daran gewöhnt, hinterm Haus Holz zu hacken, mit dem wir den Kamin im Wohnzimmer fast rund um die Uhr am Brennen hielten. Ich schnappte mir ein paar frisch gehauene Klötze von der Terrasse und warf sie ins Feuer.
    Nach ungefähr fünf Minuten loderte es beschaulich. Dann nahm ich eine Flasche Chivas aus unserem kärglich bestückten Spirituosenschrank in der Diele und goss einen Fingerbreit in ein schweres Kognakglas. Mit dem Rücken an der Wand hockte ich dann vorm Feuer und schaute dem Spiel der Flammen zu. Der Whiskey brannte im Hals und strahlte wohlige Wärme bis in meine Zehen aus.
    Über eine Stunde verbrachte ich vor dem Kamin und sah zu, wie die Glut schwächer wurde beziehungsweise letztlich erstarb, während ich die Konversation mit Adam bei Tooey Revue passieren ließ. Ich hatte ihm freimütig gestanden, dass Kyle in London aus meinem Gedächtnis verschwunden war, und wie miserabel ich mich deshalb fühlte. Das war die Wahrheit. Doch die Rückkehr in die Staaten und unser Einzug in Westlake – in ein altes Haus voller Geflüster, voller Geheimnisse und kalter Hände, die mir nachts an die Brust fassten – hatten alles wieder aufgewühlt. War die kleine Londoner Wohnung ein sicheres Refugium gewesen, war ich nun bemüht, meinen Kopf frei zu halten. Was mich ängstigte, war die Unsicherheit, ob mich tatsächlich nur die Erinnerung an Kyle plagte – oder die Möglichkeit, dass etwas anderes an mir nagte, mich langsam bearbeitete wie ein Steinmetz und schlussendlich niederrang.
    Sie hatten Elijah Dentman nie gefunden, und das bedeutete, dass sein Leichnam immer noch dort unten im stillen, schwarzen Wasser war – mit weißlich aufgeblähter Haut, an der sich die Fische gütlich taten und die Augen tief in den Schädel zurückgewichen waren. Geistig vor mir sah ich schwarz gewordene Fingerspitzen, aus denen die Knochen bereits herausragten, und grünes Haar, das wie Seetang auf einem düster leuchtenden Schädel im Schlick waberte.
    Fuck , dachte ich.
    Ich stand auf und ging zurück an den Schrank, wo ich den Chivas abstellte, dann

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