Die Treppe im See: Mystery-Thriller (German Edition)
gequälten, langsam verstreichenden Moment meinte ich sogar, ihr Herz gegen die zarte Wand ihres Brustkorbes pochen zu hören.
»Sie wissen von den Vögeln«, stellte sie fest, wunderte sich nicht darüber. Falls doch, verkniff sie sich weitere Fragen darüber. »Hinterher setzte er den Deckel wieder auf und hockte sich auf seinen Stuhl. Ich fragte, ob er wisse, dass die Tiere tot seien, was er nicht beantwortete, dafür jedoch, wo er sie fand, nämlich im Wald unter den Bäumen im Gestrüpp oder halb von Erde bedeckt.«
»Mit anderen Worten wollten Sie in Erfahrung bringen, ob er sie umbrachte«, mutmaßte ich. Der Gedanke an die zerquetschten Vogelküken und den Frosch, der wie ein aufziehbares Spielzeug in meinen Händen gezappelt hatte, ließ mich nicht los. Im Laufe der Therapie, der man mich nach Kyles Tod unterzogen hatte, sprach ich nie über diese Vorfälle. Fraglich blieb, wie meine Psychiaterin darauf reagiert hätte.
»Ja«, bestätigte Althea, »aber er tötete sie nicht. Er hat sie nur zufällig gefunden, so wie den Hasen und das Eichhörnchen.«
»Sie erwähnten den Hund.«
»Elijah sagte, er habe sein Grab zwischen den Bäumen unweit des Sees entdeckt. Als er ihn ins Haus schleppte, schalt sein Onkel ihn und wies ihn an, den Kadaver wieder zurückzutragen und im Wald zu lassen. › Und daher der ganze Ärger? ‹ , fragte ich ihn. Weder bejahte Elijah das, noch schüttelte er den Kopf, sagte nichts weiter. So versuchte ich ein letztes Mal, ihn zu einer Aussage über seinen Gesundheitszustand während der vergangenen beiden Tage zu bewegen. Schlussendlich sagte er: › Bin weggegangen. ‹ Ich bohrte weiter, doch er wiederholte immer das Gleiche – er sei weggegangen.«
»Wohin?«
»Genau das fragte ich ihn auch: › Wo bist du hingegangen? ‹ Er wiederholte nur › Bin weggegangen. ‹ Ich fragte ihn, ob ihn jemand mitgenommen hatte. Er antwortete nicht. Er fürchtete sich – zu sehr – und ich ahnte, wenn ich es auf die Spitze trieb, würde ich ihn scheu machen, wo er gerade erst ein Stück weit aus sich herausgegangen war. Man verrennt sich, wenn man etwas zu hartnäckig verfolgt, und das tat ich. Ich beugte mich über die Tischplatte und legte meine Hand auf seine, was an sich schon ein heikler Akt war, denn er mochte es nicht, von irgendjemandem angefasst zu werden, auch nicht von seiner Mutter. Mir war klar, dass er vielleicht aufspringen und nach nebenan laufen würde. Aber ich versuchte verzweifelt etwas herauszufinden.«
»Ist Elijah weggerannt?«
»Nein.« Speichel war in Altheas Mundwinkeln zu weißen Bläschen geronnen. »Ich fragte rundheraus, ob ihm jemand wehgetan habe – seine Mama, Onkel David oder wer auch immer. Er sah mich lange an, ich erinnere mich, dass ich die Uhr im Stillen ticken hörte. Minuten vergingen, nicht wenige, doch dann zog der Junge seine Hand unter meiner heraus und legte sie an die Brust, mit der anderen fuhr er darüber, als hätte ich ihn verbrannt. › Onkel David war ganz viel böse ‹ , antwortete er. › Bin weggegangen. ‹ Gerade wollte ich weitersprechen, da fiel ein Schatten über uns – die Mutter des Jungen stand in der Küchentür. Sie sah aus wie der Geist einer Frau, die auf einem Piratenschiff von der Planke gesprungen war. Sie hatte schwarze Augenringe und diese Narbe im Schläfenbereich.« Althea hob einen ihrer streichholzdünnen Arme, dessen Ellbogen aussah wie ein knorriger Baumstumpf, und zeichnete den Verlauf der Narbe an ihrem Kopf nach. »Gegen ihren blassen Teint sah sie leuchtend rot aus. Mich traf fast der Schlag, weil sie sich so herangeschlichen hatte.«
»Was hat sie gesagt?«
»Sie behauptete, ihr Sohn fühle sich bestimmt noch ein wenig matt, weshalb es das Beste sei, wenn ich die Stunde beende und damit ich mich nicht anstecke, welche Krankheit er auch immer hatte. › Ma‘am ‹ , fing ich an, › Ich glaube, auf der gesamten Welt gibt es nichts so Schlimmes, das mir der kleine Junge übertragen könnte, was ich nicht ohnehin schon habe. ‹ Aber sie sagte: › Gehen Sie bitte ‹ , und verschwand aus dem Raum. Zu diesem Zeitpunkt habe ich beschlossen, auf dem Amt Bericht zu erstatten, was sich dort zutrug. Und der Blick, den mir die Mutter des Jungen zugeworfen hatte, ich sage Ihnen … na ja, er fuhr mir bis in die Knochen und setzte mir ärger zu als jede Chemotherapie, die ich hatte. Ich packte mein Zeug zusammen und verließ das Haus. In der Woche darauf verschlimmerte sich mein Zustand so sehr, dass ich
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