Die Trinity-Anomalie (German Edition)
Schlafzimmers hing. Er genoss die Stromstöße, die bei jedem besonders harten Schlag durch seinen Arm zuckten. Wenn der Sandsack zurückschnellte und die Ketten rasselten, spürte er seine eigene Kraft. Dieses Gefühl spornte ihn an, noch kräftiger zuzuschlagen. Er ließ Beine und Unterkörper mitarbeiten. Der Sack schwang noch schneller zurück und die Ketten rasselten noch lauter. Er machte weiter, bis seine Schultern und Handgelenke um Gnade flehten und seine Armmuskeln vor Ermüdung anfingen zu zucken.
Als er die Handschuhe auszog, fiel sein Blick auf das gerahmte Foto auf der Kommode. Der achtzehnjährige Danny Byrne stand in einem Boxring und erwiderte seinen Blick mit stolzem Grinsen. Der junge Mann in Seidenshorts, purpurn und golden, und seine Brust ganz blank, nicht so behaart wie die im Spiegel über der Kommode, sie glänzte vor Schweiß. Hoch über seinen Kopf hielt er eine Golden-Gloves-Trophäe.
Manchmal kam es ihm vor, als wäre es gestern gewesen. Und dann wieder schien es hundert Jahre her zu sein. Daniel konnte nicht sagen, welches Gefühl ihn trauriger stimmte.
Daniel trank Espresso in der Lounge der ersten Klasse, während er darauf wartete, dass sein Flug aufgerufen wurde. Er dachte bei sich:
Eine Woche, höchstens, danach habe ich nichts mehr mit diesem Kerl zu tun.
Normalerweise freute er sich, wenn ihn ein Fall wieder in die USA führte. Er liebte Amerika und vermisste es ständig. Manchmal war das Heimweh unerträglich, und oft träumte er davon, eines Tages für immer »nach Hause« zurückzukehren.
Aber auf diesen Fall freute er sich ganz und gar nicht.
Eine Woche,
sagte er sich.
Hinfliegen, den Mistkerl entlarven und wieder abhauen.
Als er sich umdrehte, um auf die Fluganzeige zu schauen, erspähte er drei Tische weiter die hübsche Rothaarige, die er schon beim Einchecken gesehen hatte. Sie hatte direkt hinter ihm in der Schlange gestanden und sich seinen Stift ausgeliehen. Der Rock ihres Chanel-Kostüms endete fünf Zentimeter über dem Knie, und die Jacke schmiegte sich eng um ihre schmale Taille. Sie sah aus, als wäre sie in seinem Alter – dreiunddreißig –, aber der souveränen Art nach, wie sie den Stift annahm und problemlos in Small Talk verfiel, musste sie eher Ende dreißig sein. Sie war Einkäuferin für eine Kette exklusiver Damenmodegeschäfte – zwanzig Filialen über die ganzen Südstaaten verteilt –, und sie fand es ganz toll, auf Spesen nach Rom reisen zu können, war aber auch froh, wieder nach Hause zu ihrem Paillon-Spaniel und ihrem Yoga-Unterricht zu kommen, denn beides vermisste sie auf Reisen ganz schrecklich. Sie war eindeutig Single und interessiert, deshalb versuchte er, freundlich zu sein, ohne ihr Interesse weiter zu schüren.
Und jetzt saß sie drei Tische weiter und beobachtete ihn über den Rand ihrer
Marie Claire
hinweg, und zwar mit Absicht gerade auffällig genug, dass er es merken musste, unwillkürlich hinüberschaute und Blickkontakt aufnahm. Das war der Nachteil, wenn man seinen Priesterkragen nicht trug. Aber wenn er ehrlich war, auch ein Vorteil. Daniel wirkte attraktiv auf Frauen, und die Aufmerksamkeit tat seinem Selbstbewusstsein gut. Aber sie brachte auch schmerzliche Erinnerungen an die Frau zurück, die er für dasPriesteramt verlassen hatte, die Liebe, die er weggeworfen hatte und die zu vergessen er sich so sehr bemühte. Aber im Grunde musste er gar nicht daran erinnert werden.
Denn er dachte jeden Tag an sie.
Daniels Beichtvater war der Einzige, der davon wusste. Sie hatten unzählige Male darüber geredet, zuletzt erst vor einem Monat …
»Gott verlangt nicht von dir, perfekt zu sein, Daniel«, sagte sein Beichtvater. »Du sollst dir Jesus nur zum Vorbild nehmen, nicht in seine Rolle schlüpfen. Aber so wie Er wirst auch du versucht. Diese Frau ist deine Versuchung.«
»Es ist mehr als eine vorübergehende Versuchung. Ich liebe sie immer noch.«
»Dann ist dies das Kreuz, das du tragen musst. Du liebst sie, aber du hast dich für Gott entschieden. Deine Liebe zu ihm ist stärker.«
Aber seine Worte klangen hohl in Daniels Ohren.
7
Singapur
Der Belag der Chulia Street war so glatt, es war, als würde die Flughafenlimousine schweben, und nur das leise Summen der Reifen verriet, dass der Wagen die Fahrbahn berührte. Zu beiden Seiten säumten in regelmäßigen Abständen Kübel mit jungen Bäumen die makellosen Bürgersteige. Als das neu errichtete Sato-Kogyo-Hitachi-Gebäude links vorbeihuschte, stellte
Weitere Kostenlose Bücher