Die Trinity-Anomalie (German Edition)
Conrad Winter seine Uhr auf Lokalzeit um.
Sieben Stunden vor, zwölf Stunden Flug, machte einen Verlust von neunzehn Stunden. Sicher war das eine sehr negative Einstellung, aber Conrad war ohnehin nicht erpicht auf dieses Treffen. Wenigstens durfte er eine Nacht in Singapur verbringen, bevor er wieder zurückfliegen musste.
In Conrads Augen hatte Singapur alles, was Rom vermissen ließ. Rom war eine Stadt, die von der Vergangenheit besessen war, in der Gegenwart lebte und nicht für die Zukunft plante. Aber in Singapur ging es
nur
um die Zukunft. In Singapur riss man in rasendem Tempo ausgediente Relikte aus alter Zeit ab und errichtete glitzernde neue Wolkenkratzer, man plante immer im großen Stil, schaute stets nach vorn. Die sieben Stunden Zeitunterschied zwischen den beiden Städten hätten auch siebenJahrhunderte sein können. Kein Wunder, dass der Rat hier seine Zentrale hatte.
Es gab im Vatikan viele gute Männer, aber wie die Stadt drumherum waren sie einfach nicht fortschrittlich genug. Sie trugen Scheuklappen, blendeten die Zukunft aus. Die meisten, nicht alle. Außer Kardinal Allodi kannte Conrad noch fünf weitere Agenten des Rats am Heiligen Stuhl, aber es gab sicher andere, die er noch nicht kannte. Der Rat gehörte nicht zu den Organisationen, die Namenslisten veröffentlichten. Die Kirche forderte ungeteilte Treue, und Mitgliedschaft im Rat für den Weltfrieden war ein Grund für Exkommunizierung. Aber diese Regel hatten sich die guten Männer mit den Scheuklappen ausgedacht. Conrads Treue war nicht geteilt. Sie galt ganz allein Gott.
Und Gott würde niemals das Schicksal der Welt ein paar Gutmenschen mit Scheuklappen überlassen.
Der Rat hatte überall Agenten, und sie wurden einander nur vorgestellt, wenn es unbedingt erforderlich war. Deshalb wusste er nicht, wer den Direktor über den Rückschlag in Nigeria informiert hatte, aber er wusste Bescheid; und deshalb musste Conrad sich nun erklären. Aber das war ganz in Ordnung, denn er hatte noch andere, weit wichtigere Neuigkeiten zu berichten.
Die Limousine fuhr an den Rand und Conrad wies den Fahrer an, seine Tasche zum Raffles Hotel zu bringen. Als er ausstieg, schlug ihm feuchtheiße Luft entgegen. Auf dem Weg zum Eingang des UOB Plaza One hielt er wie immer kurz an, um sich die imposante Dalí-Bronze
Hommage an Newton
anzusehen.
Die groteske Figur stand aufrecht, die Arme nach rechts ausgestreckt, und an der rechten Hand hing ein dünner Metallstrang mit einer Kugel daran. Die sollte Newtons berühmten Apfel darstellen, der ihm auf den Kopf gefallen war und ihm so das Gesetz der Schwerkraft beigebracht hatte. Eine zweite Kugel stellte das Herz dar und hing in Newtons weit offenem Oberkörper, und auch in seinem Kopf klaffte ein großes Loch. Kunstkritiker meinten, dies symbolisiere »Offenherzigkeit und Aufgeschlossenheit«.
Für Conrad sah es eher schmerzvoll aus.
Er betrat das Atrium des Wolkenkratzers – überall Granit, Glas, gebürsteter Stahl und hohe Decken – und zerrte an seinem Hemd, das von dem kurzen Aufenthalt im Freien ganz feucht war und durch die arktische Klimaanlage unangenehm klamm an der Haut klebte. Als er den Aufzug betrat, dachte er an seinen letzten Besuch zurück. Um ein erfolgreich abgeschlossenes Projekt zu feiern, hatte ihn der stellvertretende Direktor zum Mittagessen ins Si Chuan Dou Hua im sechzigsten Stock eingeladen. Sie hatten auf Anraten des Kochs Lotuswurzeln in Honig bestellt. Einfach hervorragend. Gegen Ende des Essens war der Direktor selbst auf einen Drink dazugestoßen, um sich persönlich bei Conrad für seine Arbeit an besagtem Projekt zu bedanken.
Conrads Finger fuhr an dem Knopf für die Restaurantetage vorbei, und er drückte den für den siebenundsechzigsten Stock. An diesem Tag erwartete ihn kein Festessen.
Der Direktor des Rats stand hinter einem riesigen Schreibtisch mit Marmorplatte. Die raumhohen Fenster boten Aussicht auf die Straße von Singapur, die glitzerte wie ein Glasscherbenfeld. Er streckte seine Hand nicht aus und bot Conrad auch keinen Stuhl an. Er sagte: »Ihrem letzten Bericht zufolge lief das Projekt doch planmäßig.«
»Ja, Sir«, sagte Conrad. »Ich kümmere mich gerade darum.«
»Aber dieser Ermittler …« Der Direktor fuchtelte mit der Hand in der Luft herum, weil ihm der Name nicht einfiel.
»Daniel Byrne.«
»Er hat die Bestätigung verweigert.«
Conrad nickte. »Jeder andere Ermittler wäre in Ordnung gewesen. Wir hatten eben Pech und haben ihn
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