Die Trinity-Anomalie (German Edition)
Luxussuite im Ritz-Carlton im Zentrum von Atlanta. Neben ihm auf dem Tablett des Zimmerservice standen die Überreste seines Abendessens: Filet mignon und Caesar Salad. Er war kein Vielfraß und ließ immer einen Rest auf dem Teller zurück. Er klappte sein Notizbuch auf und ging noch mal seine Kurzschriftversion von Giuseppes Niederschriften durch.
Reverend Tim Trinity hatte bei seinen Zungenreden jede Menge Wetterberichte von sich gegeben, außerdem ein paar Verkehrshinweise und Sportnachrichten. Und manchmal landete er einen Treffer. Er sagte sogar korrekt eine Massenkarambolage mit zehn Fahrzeugen auf der I-95 bei Savannah voraus. Allerdings passierten solche Auffahrunfälle tagtäglich, ganz besonders morgens imBerufsverkehr, wenn die Pendler ihren Kaffee noch nicht intus hatten. Trinitys Vorhersagen waren also einfach Wetten mit hoher Trefferquote. Und wie Nick erwähnt hatte, hatte er den Ausgang des Super Bowl richtig vorausgesagt, aber die meisten Footballfans auch, denn die Außenseitermannschaft hatte verloren.
»Belangloses Zeug« hatte Nick das genannt. Damit hatte er zwar recht, aber das war nicht alles. Trinity beschränkte sich nicht auf Wahrsagerei. Er hatte auch einige gute Ratschläge parat, vorausgesetzt, man konnte jemanden verstehen, der rückwärts und um ein Drittel langsamer als normal sprach.
So verkündete er, die beste Reismarke für die Zubereitung von Jambalaya sei Mahatma.
Er mahnte, hoch verzinste Kreditkartenschulden immer abzubezahlen.
Und er sagte, die Menschen sollten einander lieben wie Brüder und Schwestern.
Ich habe doch gesagt, dass es ziemlich seltsam wird
.
Daniel legte das Notizbuch zur Seite und schob seinen Laptop in die Mitte des Schreibtischs. Er tippte die Leertaste an, um den Computer zu wecken. Er hatte den Browser offen gelassen, und als der Monitor anging, lächelte ihn noch immer sein Onkel von der Startseite seiner Website (Tim Trinitys Wortgotteskirche) aus an.
Auf der Website stand das übliche »wohlstandstheologische« Missionsgesülze, illustriert mit gestellten Fotos von adretten, gesunden Pärchen (weiß, braun, schwarz, aber alle Paare bitte schön streng nach Hautfarben getrennt und immer nur Männlein mit Weiblein, schienen die Fotos zu sagen) mit ihren adretten, gesunden und ethnisch eindeutig zuzuordnenden Kindern.
Alle lächelten, als gäbe es weder Unrecht noch Elend auf der Welt.
Gott will, dass du reich bist. Er will, dass du gut gekleidet bist und deine Freizeit mit Angeln und Reiten verbringst und an Sonnentagen mit der ganzen Familie im Park spazieren gehst. Er will, dass du in einer Nullachtfünfzehn-Villa in einer geschlossenen Anlage wohnst, einen Mercedes fährst und erster Klasse fliegst.
All dies kann dir gehören.
Du musst nur den Samen des Glaubens säen, indem du ein Gelübde ablegst und regelmäßig Geld an Tim Trinitys Wortgotteskirche schickst.
Und Reichtümer werden auf dich niederrieseln wie magischer Feenstaub.
Daniel kannte den ganzen Schwindel in- und auswendig. Von Anfang bis Ende, jedes kleinste Detail. Schließlich war er damit aufgewachsen.
Onkel Tim war der Zwillingsbruder seiner Mutter. Seit Daniels Geburt war Tim sein nächster Angehöriger. Seit seine Mutter bei seiner Geburt gestorben war. Am gleichen Tag noch hatte sich sein trauernder Vater von der Greater New Orleans Bridge gestürzt, war im Mississippi ertrunken und hatte Daniel als Waise zurückgelassen.
Auf Trinitys Website gab es auch eine biografische Seite, und Daniel klickte auf den Link. Die Biografie schwelgte in Erinnerungen an Trinitys Jahre der Wanderschaft, als er mit dem Wohnmobil durch den Süden gezogen war, von Ort zu Ort, von Zelt zu Zelt, um Kranke zu heilen und Seelen zu retten. Neben dem Text war ein Foto von Trinity neben seiner alten Rostlaube zu sehen. Es musste aufgenommen worden sein, als Daniel sieben Jahre alt war. Er war nicht mit auf dem Foto, aber er erkannte sein schimmerndes neues Fahrrad, das vorn an der Stoßstange lehnte. Trinity hatte es ihm zu seinem siebten Geburtstag geschenkt.
Er scrollte auf der Seite herunter, an dem Foto vorbei und durch die Jahre, bis zu der Zeit, wo Trinitys Leben nicht mehr mit seinem verwoben war. Er hielt an der Stelle, wo Trinity die Zeltpredigten aufgab und eine Kirche in Mid-City errichtete, einem Viertel von New Orleans.
Trinitys Kirche brachte schnell viel Geld ein, und er eröffnete die größte Suppenküche (auf der Website »Ernährungszentrum« genannt) in New Orleans, um
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