Die Tuchhaendlerin von Koeln Roman
nahm die Priorin meine beiden Hände.
»Kind, du mußt jetzt tapfer sein«, sagte sie traurig. »Dies ist eine sehr schlimme Krankheit. Sie heißt Typhus, und sie verläuft meistens tödlich. Deine Mutter ist sehr alt, sie hat keine Kraft mehr. Du kannst jetzt nur noch für sie beten, und wir wollen das auch tun.«
Damit gingen sie. Mir war entsetzlich elend, und ich sank auf den nächsten Stuhl, weil meine Beine unter mir nachgaben. Mutter, oh, meine Mutter! Und wie sollte ich das Vater beibringen? Ich ging wieder in die Krankenstube, wo Vater am Bett saß und Mutters Hand hielt.
Ich wollte mich zusammenreißen, aber ich konnte nicht. Der Schmerz überwältigte mich, und ich sank bitterlich weinend am Bett zusammen. Mein Vater legte tröstend seine Hand auf meine Schulter.
»Ist ja schon gut, Sophia. Weine dich nur aus, wenn du das nötig hast. Aber uns brauchst du nicht zu bemitleiden«, hörte ich die Stimme meines Vaters. Ich blieb liegen, bemühte mich aber, mein krampfhaftes Schluchzen zu unterdrücken, damit ich verstehen konnte, was er mir zu sagen hatte.
»Mutter kann dich nicht mehr hören, sie liegt im Delirium. Wir wollen alles tun, um sie nicht zu sehr leiden zu lassen. Ich werde ihr sehr bald folgen, seit heute morgen hat das Fieber mich auch gepackt. Ich muß nicht ohne meine Hadewigis weiterleben, das ist sehr tröstlich für mich. Unser Testament ist längst gemacht, unser Haus ist bestellt. Nun laß uns in Frieden gehen, Tochter. Mein letzter Gedanke wird dir gelten, unserem einzigen Kind, unserer Herzensfreude. Im Himmel sehen wir uns dann wieder.«
Es war, wie Vater gesagt hatte. Mutter starb am nächsten Morgen, umsorgt von Vater und mir bis zum letzten Atemzug. Dann legte Vater sich in ihr Bett und war am gleichen Abend tot. Die Nonnen wunderten sich, daß die Krankheit bei ihm so rasch fortgeschritten war, aber ich wußte, daß er Hadewigis nicht warten lassen wollte.
Auch Tante Engilradis starb, Gott hüte ihre liebevolle Seele in seiner Gnade. Wir begruben alle drei am gleichen Tag, und meine Eltern lagen gemeinsam in einem großen Sarg. Der Friedhof konnte die Trauergäste nicht fassen, sie standen bis weit in die angrenzenden Straßen hinein. Nicht nur die großen Familien waren ausnahmslos vertreten, auch riesige Scharen von armen Leuten waren gekommen; sie weinten und schluchzten in tiefem Kummer, weil Engilradis tot war, die sich seit Jahrzehnten um sie gekümmert hatte. Wer würde sich nun um sie sorgen?
Nach der Beerdigung konnte ich mich nicht gleich von dem Grab trennen. Ich schickte alle Verwandten weg, nur Gottschalk durfte bei mir bleiben. Hier lagen sie alle: meine Eltern, Großvater und meine vor meiner Geburt verstorbene Großmutter, Onkel Fordolf mit seiner Frau, auch sein Bruder Johannes mit Richlinde; sie waren auch schon etliche Jahre lang tot.
»Alle, die vor uns waren, sind nun fort«, meinte ich nachdenklich. »Wir werden dann wohl die nächsten sein.«
Gottschalk schüttelte heftig den Kopf. »Wo denkst du hin, Sophia?« sagte er. »Du doch nicht. Du wirst ewig leben, das ist doch klar.«
Als wir da standen, wußte ich noch nicht, daß ein noch schlimmerer Schlag auf uns wartete. Die Seuche war fast zum Erlöschen gekommen, da griff sie sich mit ihren Knochenfingern noch ein letztes Opfer - unseren Sohn Gunther. Ein
junger, kräftiger Mann; wir dachten, er würde die Krankheit ganz gewiß überwinden. Ich holte ihn in unser Haus zur Pflege, damit Johanna und die Kinder sich nicht ansteckten, schickte darum auch dich und deine Schwester Sophia zu ihr. Blithildis bot mir an, bei der Pflege des Bruders zu helfen; aber das gestattete ich ihr natürlich nicht, denn sie war schwanger.
Das Fieber stieg und stieg bei Gunther, und kein Mittel wollte dagegen helfen. Er hatte täglich mehrere Durchfälle und magerte bis auf die Knochen ab. Ich wich nicht aus dem Krankenzimmer. Der Arzt kam täglich, eine Nonne der Ursulinen wechselte sich mit mir bei den Nachtwachen ab. Auch Gottschalk nahm immer wieder meinen Platz an Gunthers Bett ein und zwang mich, doch wenigstens ein paar Stunden zu schlafen.
Jeden Morgen, nachdem ich ihn sorgsam mit kühlem Wasser abgewaschen hatte, ging ich nach St. Laurenz oder in eine andere Kirche und flehte die Gottesmutter oder einen der vielen Heiligen um Fürsprache bei Gott an, daß er unserem Sohn das Leben ließe, zündete Kerzen an, spendete reichlich. Aber mein Flehen war nicht laut genug, meine Bitten wurden nicht
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