Die Tuchhaendlerin von Koeln Roman
Ankunft in Minden, wenn nichts Unvorhergesehenes dazwischenkam. Es war sehr kalt und trocken. Nachdem ich Frau Adelgundes Fürsorge und Abschiedsküsse glücklich überstanden hatte, rollten die Wagen aus Herrn Hildebrands Hof. Draussen warteten schon die anderen Kölner, um die Reise mit uns fortzusetzen. Patroklus rannte noch eine Weile neben mir her. Sein Atem verwandelte sich in dicke Dampfwolken, und er schickte mir einen traurigen Blick nach, als er zurückbleiben mußte. Selbstverständlich ritt genau in diesem Moment Herr Gottschalk vorbei und sah es. Er zog eine Augenbraue hoch und warf mir einen spöttischen Blick zu, den ich ebenso selbstverständlich ignorierte.
Wir kamen gut voran und waren nach vier Tagen schon kurz vor der Westfälischen Pforte, wo die Weser sich einen Durchbruch durch das Gebirge geschaffen hat. Als wir am Abend haltmachten, dachte ich froh, daß dies nun die letzte Nacht unserer Hinreise war. Ich träumte von einem schönen warmen Bett in einer gemütlichen Herberge, von heißem Essen, das nicht schon auf dem Weg vom Kochkessel bis zu meinem Mund vom Frost kalt geworden war, und natürlich vom Wiedersehen mit meiner Prinzessin. Es kann schon sein, daß ich darum mit meinen Gedanken nicht ganz bei meiner Arbeit war, als ich, wie jeden Abend, die Pferdehufe kontrollierte. Herr Gottschalk inspizierte gründlich das Pferd, dessen Hufe ich gerade mit Fell umwickelt hatte, und rief mir dann mißbilligend zu: »Dieser Huf ist nicht richtig behandelt!«
Ich ärgerte mich, kam aber näher, um zu sehen, was er zu beanstanden hatte. Er bohrte gerade mit seinem Messer einen kleinen, aber scharfkantigen Stein aus dem Pferdehuf.
»Wenn du eine Arbeit nicht ordentlich machen kannst, dann überlaß sie lieber uns Männern«, sagte er frostig.
Ich kochte vor Zorn. Einerseits mußte ich ihm recht geben, das Pferd hätte sicher am nächsten Tag gelahmt, und ich hatte in der Dämmerung nicht genau genug hingeschaut und den Stein übersehen. Aber diese rüde Art der Kritik! Besonders: Überlaß sie uns Männern! Als ob Männer nicht auch Fehler aus Nachlässigkeit machen könnten! Ich fauchte wütend und raste davon in den Wald hinein. Nie und nimmer sollte Herr Gottschalk sehen, daß mir Tränen in den Augen standen, weil ich mich so über ihn ärgerte und mich gleichzeitig für meine eigene Nachlässigkeit schämte.
Die schneebedeckten Zweige, die mir ins Gesicht klatschten, kühlten mich etwas ab. Mir fiel ein, daß ich noch eben meine Blase entleeren sollte - lieber hier in der Stille als in dem Winkel am Lagerrand, den ich höchst ungern aufsuchte und immer in höchster Eile wieder verließ, damit ich keine
Begegnung mit den Männern hatte. Ich ging also in Deckung hinter einem dicken Baum und fing gerade an, meine Kleidung aufzunesteln, als mir plötzlich von hinten eine grobe Hand den Mund zuhielt und eine weitere meinen Gürtel nach der Geldkatze abtastete. Nach dem ersten Schreck wehrte ich mich, so gut ich konnte. Dabei fiel mir die Kappe vom Kopf, und meine langen Zöpfe glitten herab.
»Ja, was haben wir denn da?« fragte eine raue Männerstimme, und die Hand wanderte von meinem Gürtel zu meiner Brust. Verzweifelt biß ich in die Finger, die meinen Mund zupreßten. Für einen Moment zuckte die Hand zurück, und ich versuchte zu schreien, aber schon preßte sie sich wieder auf meinen Mund. Ich kämpfte wie eine Wildkatze, trat und versuchte, mit den Fäusten nach hinten zu stoßen, hatte aber keine Chance. Ich bekam keine Luft mehr und sah schon lauter rote Wirbel vor meinen Augen; da hörte ich einen dumpfen Schlag, und der Griff des Mannes lockerte sich. Ich fühlte, wie er hinter mir zusammensackte und mich im Fallen mit sich riß.
Die roten Wirbel verblaßten. Ich schlug die Augen auf und sah in ein allzu bekanntes Gesicht. Es war Herr Gottschalk. Noch nie im Leben war ich so froh, ihn zu sehen! Allerdings nicht lange. Mit festem Griff packte er mich und stellte mich auf meine Füße. Er schaute mich an und sagte grimmig: »Du weißt genau, daß du dich nicht allein vom Lager entfernen sollst!« Und dann gab er mir eine schallende Ohrfeige. Ich war so entsetzt und fassungslos, daß ich in Tränen ausbrach. Da nahm er mich in die Arme, wiegte mich wie ein kleines Kind und murmelte etwas Unverständliches; es klang wie »Dummes kleines Mädchen … solche Angst um dich gehabt«, und er küßte mich sanft auf die Stirn. Diese leise Berührung traf mich wie ein Feuerstrahl. Ein
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