Die Tuchhaendlerin von Koeln Roman
sie zustande gekommen sei.
Insgeheim dachte ich, daß ich selbst niemals das Messer gegen einen Angehörigen gehoben hätte und daß ein wenig Taufwasser so schlimm nicht sein könne. Schließlich ertrinkt man nicht darin. Aber das wollte ich dem alten Juden lieber nicht sagen.
»Ich verstehe, was du meinst«, sagte ich einlenkend. »Aber das ist doch schon so lange her. Ich weiß, daß mein Großvater sich sein Leben lang bemüht hat, den Juden zu helfen. Zuerst während einer Hungersnot und dann, als vor dem zweiten Kreuzzug ähnliche Greuel zu befürchten waren. Da hatte er die rettende Idee, die Kölner Juden sollten die Wolkenburg vom Erzbischof mieten und sich darin verschanzen, bis die Zeiten wieder sicher waren. Der Erzbischof, stets in Geldnot, stimmte zu - freilich für einen hohen Preis, der zu einem Teil aus der Tasche meines Großvaters bestritten wurde - was der Erzbischof niemals erfuhr.«
»Das hat Constantin getan? Das wußte ich nicht!« entfuhr es Samuel. »Eckebrecht. Der Christ Eckebrecht hat es getan«, betonte ich. »Aus Fürsorge für das Volk, dem er selber entstammte. Und das ihn immer verurteilt hat, seit er ein Kind von neun Jahren war.«
Samuel schwieg und schnaufte einmal tief. Dann wandte er sich mir zu. »Ich billige nicht und werde niemals billigen, daß Constantin Christ wurde«, erklärte er. »Aber ich will es ihm jetzt verzeihen, damit er die wenigen Jahre, die uns noch bleiben mögen, ohne meine Verachtung leben kann.«
Ich dankte ihm demütig für diese großzügige Haltung. Da
die ganze Zeit keine Kunden kamen, blieben wir jetzt noch ein bißchen bei Samuel sitzen, um die erhitzten Gemüter abzukühlen. Dabei erzählte er mir Dinge über die Juden, die mir ganz neu waren. Oder hättest du gewußt, daß ein römischer Kaiser vor langer, langer Zeit die Juden zwang, ihre Hauptstadt Jerusalem zu verlassen und sie diese mehr als hundert Jahre nicht einmal mehr betreten durften? Und daß viele von ihnen nach Alexandria in Ägypten auswanderten, später mit den Arabern nach Spanien zogen und dann dort lebten? Von da kam dann der Großvater meines Großvaters Eckebrecht und heiratete eine Kölner Jüdin.
Oder wußtest du, daß die Juden sich in Deutschland lange Zeit ihr Brot mit Sklavenhandel verdienten? Sie kauften die slawischen Kriegsgefangenen und verkauften sie nach Spanien. Das galt als völlig rechtschaffen, solange die Slawen Heiden waren. Die Kirche hatte nichts dagegen, daß Heiden wie Vieh gehandelt wurden. Aber nachdem die slawischen Völker im Osten dann missioniert waren, hörte der Spaß auf. Als Christen durften sie nicht mehr versklavt werden.
»Weißt du auch, wie lange wir Juden schon in Köln lebten?« fragte mich Samuel und hob den Finger wie ein strenger Lehrer. Ich schüttelte den Kopf.
»Wir waren schon zur Zeit von Kaiser Constantin dort«, sagte er stolz. Ich hatte den Namen zwar schon gehört, wußte aber nicht genau, zu welcher Zeit er gelebt hatte, und schämte mich dafür.
»Du weißt nicht, wie lange das her ist?« fragte Samuel schadenfroh. »Tausend Jahre, Sophia. Tausend Jahre!« Das beeindruckte mich sehr, wenn ich auch später herausfand, daß er damit übertrieben hatte. Es waren nur achthundert Jahre - also auch noch eine sehr lange Zeit.
»Und wie lange leben deine Leute schon in Köln?« fragte er unbarmherzig weiter. Ich konnte es nicht sagen. Sicher keine tausend Jahre. Aber dann triumphierte ich: »Mein
Großvater Eckebrecht stammt von euch ab. Also sind seine Vorfahren auch schon tausend Jahre in Köln! Und seine Ahnen sind doch auch meine.«
Samuel sah mich mit Respekt an. »Da hast du recht. Und wenn ich es genau bedenke: Da dein Großvater mein entfernter Vetter ist, bist du auch mit mir verwandt. Ich hätte gar nicht gedacht, daß eine junge Christin zu meinen Verwandten zählt, aber du gefällst mir nicht schlecht.«
Nun betraten gleich mehrere Kunden den Laden, und wir verabschiedeten uns. Es war inzwischen so spät geworden, daß wir schleunigst nach Hause gingen; für weitere Stadtbesichtigungen war keine Zeit mehr. Den Arm, den Patroklus schützend um meine Schultern legen wollte, schüttelte ich freundlich, aber bestimmt ab.
Am nächsten Morgen ging es dann in aller Frühe weiter. Ich konnte es kaum noch erwarten, nach Minden zu kommen, weil ich so gespannt auf die fürstliche Hochzeit war und weil ich mich sehr auf das Wiedersehen mit meiner Prinzessin freute.
Wir rechneten mit mindestens fünf Tagen bis zur
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