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Die Tuchhaendlerin von Koeln Roman

Titel: Die Tuchhaendlerin von Koeln Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karina Kulbach-Fricke
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hilflos aus.
    »Was fehlt Großvater denn?« flüsterte ich.
    »Ich fürchte, der Schlag hat ihn heute Nacht getroffen«, sagte Tante Engilradis traurig.
    »Schaut her.«
    Sie hob seine linke Hand etwas an, ließ sie los, und sie fiel völlig kraftlos herab.
    Engilradis hatte Jahrzehnte damit verbracht, kranke Menschen in armen Familien zu pflegen; sie wußte Bescheid.
    »Ich habe nach der Äbtissin von Sankt Ursula geschickt, aber ich fürchte, auch sie wird hier nicht helfen können.«

    Vater räusperte sich. »Habt ihr - habt ihr auch nach dem Priester geschickt?« fragte er mit belegter Stimme. Fordolf nickte stumm.
    Nun trafen auch Constantin und seine junge Frau Elizabeth ein, und gleich nach ihnen die Äbtissin. Da bewegte Großvater die Lippen. Wir drängten uns alle um sein Bett und lauschten, aber dann sahen wir uns nur ratlos an. Wir verstanden kein einziges Wort.
    »Es kommt öfters vor, daß die Sprache sehr undeutlich wird«, sagte Tante Engilradis und wischte Großvater einen Speicheltropfen von der Wange.
    Großvater sprach wieder ein paar Worte, und plötzlich sagte Elizabeth: »Er spricht doch ganz deutlich!«
    Wir wandten alle den Kopf zu ihr.
    »Er spricht in unserer Sprache«, sagte Elizabeth leise.
    In unserer Sprache? Elizabeth war als Jüdin geboren und hatte vor der Heirat mit meinem Vetter Constantin die Taufe empfangen. Wie Großvater.
    »Was sagt er?« fragte meine Mutter.
    Elizabeth hörte genau hin. Mit leiser Stimme übersetzte sie seine Worte.
    »Eckebrecht sagt: ER segne euch und behüte euch. ER lasse sein Angesicht leuchten über euch und sei euch gnädig. ER hebe sein Angesicht über euch und gebe euch Frieden.«
    Großvater hielt inne und suchte nach den richtigen Worten. Dann fuhr er fort, und wieder übersetzte Elizabeth.
    »Es ruhe auf euch Sein Geist, der Geist der Weisheit und des Verstehens, der Geist des Rates und der Kraft, der Geist der Kenntnis und Seiner Fürchtigkeit.«
    Der Priester von Sankt Laurenz trat ein, er hatte ein Gefäß mit Salböl dabei und wollte Großvater die Letzte Ölung spenden.
    Großvater hielt wieder inne. Elizabeth ergriff seine Hand und küßte sie ehrfürchtig.

    »Ich kenne dieses Gebet. Er spricht den Segen eines Sterbenden für seine Angehörigen«, sagte sie andächtig.
    Ich mochte Elizabeth sehr gern, aber in diesem Augenblick war ich eifersüchtig auf sie, weil sie als einzige verstand, was Großvater zu sagen hatte.
    Bisher war sein Blick in die Ferne gerichtet gewesen; aber nun kehrte ein Funke in seine Augen zurück, und er sah uns der Reihe nach an, seine drei Söhne, seine Schwiegertöchter, seine Enkelkinder. Mir war, als ob ein ganz schwaches Lächeln über sein Gesicht zog, als er mich ansah, und mir traten die Tränen in die Augen.
    Dann fuhr er stockend fort, und Elizabeth übersetzte wieder:
    »Der Engel, der mich von allem Bösen erlöst, segne diese Jugend …«
    Offenbar mußte er sich große Mühe geben, sich an die richtigen Worte zu erinnern. Kein Wunder, dieses Gebet hatte er vermutlich vor etwa achtzig Jahren in der Schule gelernt.
    Aber dann fiel es ihm wieder ein:
    »… in ihr werde mein Name und der Name meiner Väter Abraham und Isaak genannt … Sie möchten sich mehren …«
    Und dann sagte Großvater nichts mehr.
    Es dauerte ein paar Augenblicke, bis wir begriffen, daß er gegangen war.
     
    Der Priester sah mißtrauisch auf den Leichnam. »Was hat das zu bedeuten?« fragte er. »Ist er etwa in seiner letzten Stunde wieder vom wahren Glauben abgefallen?«
    »Unsinn«, sagte die Äbtissin mit fester Stimme. »Wir haben das Gebet eines guten, aufrechten Mannes und seinen Segen für seine Familie vernommen. Eckebrecht starb in der Obhut Gottes. Und nun gebt ihm die Letzte Ölung.«

    Und, als der Priester noch zögerte: »Los, macht schon. Ich übernehme die Verantwortung und bürge für ihn.«
    Da nahm er die heilige Handlung vor und verschwand anschließend eilig, während die Äbtissin niederkniete und andächtig ein Sterbegebet sprach.
    Ich stand hinter ihr und hätte am liebsten alle Anwesenden hinausgeworfen, um mit Großvater allein zu sein. Die ungeweinten Tränen schnürten mir die Kehle zu. Ach, Großvater, lieber, lieber Großvater! Ich wußte immer, daß ich dein Liebling war, und ich sonnte mich in deiner Zuneigung. Du warst mein Trost und meine Zuflucht in vielen Lebenslagen. Nun gehst du fort, und mit dir ein Teil meines Lebens und meiner Jugend. Ohne dich wird die Welt nie mehr das sein, was sie

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