Die Tuchhaendlerin von Koeln
hämmerte an die Tür zur Nachbarkammer, worauf Megintrud verschlafen erschien und zu Tode erschrak, als sie mich mit dem Kind sah. Sie wollte Regenzo aus meinen Armen nehmen, aber ich ließ es nicht zu, preßte das Kind fest an mich, zitterte und stöhnte wie eine Wahnsinnige. Da packte Gottschalk mich fest am Arm. »Sei nun ruhig, Sophia«, sagte er und nahm mir den Knaben ab, obwohl ich mich dagegen wehrte und endlich in Tränen ausbrechen konnte. Trotz des dämmrigen Morgenlichts konnte ich sehen, daß Gottschalk weiß wie ein Leintuch war, als er seinen Sohn betrachtete.
»Was ist los, Megintrud?« brachte er mühsam hervor. Megintrud weinte. »Das Kind ist tot, Herr Gottschalk«, sagte sie traurig.
»Aber er war gestern abend völlig gesund, hat noch eine Weile vor sich hin geplappert. Sophia hat die Wiege geschaukelt, und er ist zufrieden eingeschlafen. Er kann nicht tot sein. Los, Megintrud, tu etwas!«
Sie bekreuzigte das Kind, zog sich eilends an und holte meine Mutter. Auch ihr standen bittere Tränen in den Augen, als sie meinen kleinen Regenzo sah und mich, wie ich völlig untröstlich und tränenüberströmt auf dem Bett saß. Sie setzte sich neben mich, schloß mich in die Arme und wiegte mich wie ein kleines Kind. Als mein Weinen leiser wurde, sagte sie sanft:
»Hörst du nicht, daß Gunther schreit?« Da stand ich auf,
ging in den Nebenraum, wo die beiden mir verbliebenen Söhne in ihrer Wiege lagen, und nahm das Kind an mein Herz.
Ich will dir jetzt etwas gestehen, meine Tochter, was ich noch niemals ausgesprochen habe. Niemand auf der Welt hat je erfahren, was für ein entsetzlicher Gedanke durch meinem Kopf fuhr, als ich weinend in meinem wilden Schmerz auf dem Bett saß, mein totes Kind im Arm. Ich dachte bei mir: »Gottschalk ist schuld. Er wollte sich an der Amme seiner Kinder versündigen, in Gedanken hat er bereits das Sakrament der Ehe gebrochen. Zur Strafe hat Gott uns unseren Regenzo genommen.«
Vielleicht hätte ich Gottschalk diese Anschuldigung sogar ins Gesicht geschleudert. Doch zum Glück konnte ich vor Schluchzen gar nicht reden. Und Gott sei Dank kam meine Mutter rechtzeitig, bevor diese schrecklichen Worte ausgesprochen wurden. Heute, als alte Frau, bin ich zutiefst dankbar dafür, daß Gottschalk sie niemals hörte, denn das hätte uns beide für immer entzweit. Ich hätte an Großvater denken sollen, der mir schon einmal ans Herz gelegt hatte, daß wir Menschen nicht so wichtig sind, daß Gott um unserer Schwächen willen ein Geschöpf vernichtet, das er mit Liebe geschaffen hat.
Im Spätsommer dieses Jahres kam ein Bote von Herzog Heinrich nach Köln. Er verkündete dem Erzbischof, daß der Fürst eine Reise ins Heilige Land plane.
Am nächsten Tag trat der Bote bei einer Sitzung der Ratsherren auf und machte die gleiche Meldung; aber hier fügte er noch hinzu, jeder Kölner, der sich dem Herzog auf seiner Pilgerfahrt anschließen wolle, sei herzlich willkommen. Das stiftete große Aufregung und Begeisterung im Rat.
Am dritten Tag - hier mußte schließlich eine Reihenfolge nach der Bedeutung eingehalten werden - tauchte der Bote auch in unserem Haus auf. Er brachte mir Grüße und einen Brief von Herzogin Mathilde. Sie gratulierte mir auf das herzlichste zur Geburt unserer Drillinge - vom Tod Regenzos wußte sie noch nichts - und sandte liebevolle Grüße und Geschenke.
»Meine geliebte Freundin, du bist offenbar von Gott gesegnet und stehst unter dem besonderen Schutz seiner Heiligen Mutter. Drei lebende Söhne auf einmal - ich kenne niemand sonst, dem dieses Glück beschieden ist. Fast könnte ich dich beneiden. Aber mein Gemahl hat mir versprochen, nächstes Jahr, so Gott will …Wenn es dann aber noch nicht so sein sollte, reise ich mit meinem Löwen nach Jerusalem.«
So gern wäre sie selbst nach Köln gekommen, schrieb sie. Aber ohne ihren Gemahl in der Welt herumreisen, nein, das ginge wohl nicht an.
Und als letztes machte sie uns einen Vorschlag: »Wenn dein Mann, der geehrte Kaufmann Gottschalk, meinen Löwen ins Heilige Land begleiten möchte, ist er ihm ein sehr willkommener Reisegefährte.«
Ich hatte den Brief halblaut gelesen. An dieser Stelle blickte ich zu meinem Mann hinüber, und zum ersten Mal seit Regenzos Tod strahlte er vor Freude wie ein Kind. Meine Gefühle dagegen waren zwiespältig. Ich erinnerte Gottschalk an die große Gefahr seiner Byzanzreise.
»Aber Sophia«, meinte er ungeduldig, »der Herzog wird wohl kaum von Räubern
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