Die Türme der Mitternacht
Sonnenlicht. Mat verspürte Eiseskälte zwischen den Schulterblättern. Viele Reisende auf dem Fluss hielten ihn für ein Relikt aus dem Zeitalter der Legenden. Was sollte man sonst von einer scheinbar unbewohnten Stahlsäule halten, die sich aus dem Wald erhob? Sie war so natürlich und fehl am Platz wie die verdrehten roten Türdurchgänge. Die einem den Blick verzerrten.
Der Wald fühlte sich viel zu still an; abgesehen von ihren Schritten war kein Laut zu hören. Noal ging mit einem langen Stab, der größer als er selbst war. Wo hatte er den denn her? Er hatte das glatte, ölige Aussehen von Holz, das beträchtlich mehr Jahre als Wandererstab verbracht hatte als zuvor als Baum. Noal hatte auch Hosen angezogen, die so dunkelblau waren, dass sie fast schwarz wirkten, und dazu ein Hemd in einem seltsamen, fremden Schnitt. Die Schultern waren steifer, als Mat es kannte, und der dazugehörige Mantel war länger, er reichte fast bis über Noals Knie. Er war bis zur Taille zugeknöpft und klaffte dann an den Beinen auf. Sehr seltsam, in der Tat. Der alte Mann beantwortete nie Fragen über seine Vergangenheit.
Thom hatte sich für seine Gauklerkleidung entschieden. Es war gut, ihn wieder darin zu sehen, statt in der plüschigen Hofbarden-Ausstattung. Der Flickenmantel, das einfache, an der Vorderseite verschnürte Hemd, die engen Hosen, die in den Stiefeln steckten. Als Mat ihn nach seiner Wahl gefragt hatte, hatte Thom nur mit den Schultern gezuckt und gesagt: »Es fühlt sich einfach richtig an, das anzuziehen, wenn ich zu ihr gehe.«
Mit »ihr« war Moiraine gemeint. Aber was hatten die Schlangen und Füchse mit ihr gemacht? So viel Zeit war vergangen, aber er wollte verdammt sein, wenn er noch eine weitere Stunde verstreichen ließ. Er hatte sich für eine waldgrüne und erdbraune Ausstattung entschieden, zusammen mit einem dunkelbraunen Umhang. Sein Bündel hatte er über den einen Arm gelegt, den Ashandarei hielt er in der Hand. Er hatte mit dem neuen eisernen Gegengewicht am Schaftende geübt und war damit sehr zufrieden.
Die Eelfinn hatten ihm diese Waffe gegeben. Nun, sollten sie es wagen, sich zwischen ihn und Moiraine zu stellen, dann würden sie erleben, was er mit ihrem Geschenk alles machen konnte. Sollte man ihn doch zu Asche verbrennen, das würden sie.
Die drei Männer traten vor den Turm. Nirgendwo auf der zweihundert Fuß hohen Fläche schien es eine Öffnung zu geben. Kein Fenster, keine Fuge, kein Kratzer. Mat schaute nach oben und fühlte sich desorientiert, als er die funkelnde Länge entlang in den fernen grauen Himmel schaute. Reflektierte der Turm nicht eigentlich zu viel Licht?
Er erschauderte und wandte sich Thom zu. Dann nickte er.
Thom zögerte nur kurz, dann zog er ein Bronzemesser aus der Scheide an seinem Gürtel und trat vor, um die Spitze auf den Turm aufzusetzen. Grimmig beschrieb er mit der Klinge ein Dreieck, das etwa eine Handfläche breit war und dessen Spitze nach unten zeigte. Metall kratzte auf Metall, hinterließ aber keine Spuren. Abschließend zeichnete Thom eine Wellenlinie in die Mitte, wie man das am Anfang einer jeden Partie Schlangen und Füchse tat.
Keiner sagte ein Wort. Mat sah Thom an. »Hast du das auch richtig gemacht?«
»Ich glaube schon«, erwiderte Thom. »Aber woher sollen wir wissen, was ›richtig‹ ist? Das Spiel gibt es seit…«
Er verstummte, als ein Lichtstreifen auf der Turmwand erschien. Mat sprang zurück und hob den Speer. Die glühenden Linien bildeten ein Dreieck, das dem entsprach, welches Thom gezeichnet hatte, dann verschwand der Stahl in der Mitte des Dreiecks - so schnell wie der Flügelschlag einer Motte.
Noal betrachtete das handflächengroße Loch. »Das ist etwas klein, um hindurchzukriechen.« Er trat heran und schaute hinein. »Auf der anderen Seite ist nur Dunkelheit zu sehen.«
Thom schaute auf sein Messer. »Ich vermute, das Dreieck ist in Wirklichkeit ein Eingang. Darum zeichnet man es, wenn man das Spiel beginnt. Soll ich ein Größeres aufmalen?«
»Ja, klar«, sagte Mat. »Es sei denn, der Gholam hat dir beigebracht, wie man sich durch faustgroße Löcher quetschen kann.«
»Kein Grund, so verbiestert zu sein«, meinte Thom und zeichnete ein weiteres Dreieck um das Erste, dieses Mal aber groß genug, um hindurchgehen zu können. Er schloss mit der Wellenlinie.
Mat zählte. Es dauerte sieben Herzschläge, bis die weißen Linien erschienen. Zwischen ihnen löste sich der Stahl auf und gab den Weg in einen
Weitere Kostenlose Bücher