Die Ueberlebenden von Mogadischu
Menschen in Deutschland und der Welt mussten in diesen Tagen einen Atlas bemühen oder an ihrem Leuchtglobus drehen, um die diversen Landeplätze zu verorten. Zum Glück gab es am Abend eine jeweils aktualisierte Grafik in heute und Tagesschau .
Die »Landshut« war in einer europäischen, vertrauten Welt gestartet und im Lauf der Woche in eine fremde, unbekannte davongeflogen.
Die Bilder der »Landshut« in Rom waren noch von europäischer Farbigkeit. Mediterranes Gelb milderte den Schrecken der Situation. Die Bilder der »Landshut« in Dubai ließen die Maschine sehr plastisch, aber bereits fern von Europa erscheinen. Die Bilder vom nächsten und letzten Ort, den die »Landshut« auf ihrem Irrflug erreichen sollte, Mogadischu, waren nichts mehr von beidem, nicht mehr mild und nicht mehr außereuropäisch. Jetzt schien die Maschine im Niemandsland angekommen. War sie überhaupt noch auf dieser Erde?
Die bekanntesten Bilder aus Mogadischu zeigen die »Landshut« in einiger Entfernung. An einer hinteren Tür ist eine Notrutsche herabgelassen. Ein roter Krankenwagen fährt heran. Über die Rutsche gelangt etwas aus der Maschine nach draußen und wird von Sanitätern in den Krankenwagen gebracht. Dieses Etwas ist, wie 314 sich später herausstellt, die Leiche des bereits in Aden ermordeten Flugkapitäns Jürgen Schumann.
Der Kameramann Assem Audi Talmassani, der dem ARD -Nahost-Korrespondenten ans Horn von Afrika gefolgt war, nutzte die durch ein erneutes Ultimatum gewonnene Zeit, um die »Landshut« auch aus verschiedenen anderen Perspektiven zu filmen. Die meisten dieser eindrücklichen Aufnahmen wurden für den ARD - Brennpunkt am Abend nicht gebraucht und verschwanden im Archiv.
Dank der Aufnahmen lässt sich die Lage der »Landshut« an ihrer letzten Station bestimmen. Rechts neben der Flughafenpiste erhebt sich eine raue, steinreiche Wüstenlandschaft, links davon liegt das Meer, der Indische Ozean. Der Flughafen besteht aus wenigen Häusern und vielen Baracken. Es gibt keine befestigten Verkehrswege, Autos parken kreuz und quer, wo zwischen Sanddünen und Geröllhügeln Platz ist.
Inmitten dieser fernen Welt steht die »Landshut«, mitgenommen durch die schwierigen Starts und Landungen der vergangenen Tage und der nur provisorischen Wartung am Boden. Vor der Silhouette des Indischen Ozeans wirkt sie mit ihrem aluminiumfarbenen Bauch wie ein Ufo, das auf einem unwirklichen Flecken Erde notlanden musste.
In der folgenden Nacht richtete vermutlich ein weiterer, bislang unbekannt gebliebener Kameramann sein Objektiv auf die »Landshut«: Er filmte vom Flugfeld aus die Befreiungsaktion der deutschen Grenzschutztruppe 9. Dieser Film liegt bis heute unter Verschluss, es wird von offizieller Stelle nicht einmal zugegeben, dass es ihn gibt. Auch der GSG - 9 -Kommandeur Wegener verneint auf Nachfrage die Existenz eines filmenden Kollegen unmittelbar an der Maschine. Doch die befreite Geisel Beate Zerbst, heutige Keller, hat eine genaue Erinnerung an diesen Kameramann. Sie rannte bei der Befreiung an ihm vorbei.
Als die Maschine das nächste Mal fotografiert und gefilmt werden darf, ist sie wieder in Deutschland. Der Schusswechsel zwi 315 schen Terroristen und GSG - 9 -Leuten hatte Innenraum und Cockpit schwer beschädigt. Die Maschine war von Mogadischu nach Hamburg geflogen und dort in der Lufthansa-Werft repariert worden. Danach sah sie aus, als sei nie etwas gewesen. Sie nahm ihren Liniendienst auf wie vor dem 13. Oktober 1977 auch.
Die »Landshut« war seinerzeit eine von nur fünf Maschinen, die nicht nur als Passagierflugzeuge, sondern auch als Frachtmaschinen eingesetzt wurden. Jedes dieser 737 -Exemplare verfügte neben der linken Cockpittür über eine zusätzliche große Tür zum Be- und Entladen der Fracht. Auf den »Tagdienst« als »City-Jet« folgte die Nachtschicht im Container-Dienst: Lufthansa-Mitarbeiter bauten in Windeseile die gelb gepolsterten Sitze aus und bestückten den Innenraum mit Paletten. Die variable Einsatzmöglichkeit machte die »Landshut« zum Arbeitsross und bescherte ihr ein langes Flugzeugleben.
Wie es mit der Maschine nach ihrer Reparatur im Herbst 1977 weiterging, fand der Journalist Christoph Belz für die Zeitschrift transmission heraus.
Am 3. September 1985 verkauft die Lufthansa die technisch veraltete und im Komfort nicht mehr zeitgemäße Maschine nach Amerika, an die Firma CG Air Leasing. Dort bleibt sie zwei Jahre, bis sie an die Aviation Sales Co.,
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