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Die Ueberlebenden von Mogadischu

Titel: Die Ueberlebenden von Mogadischu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Rupps
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ausgegeben habe, aufgeschrieben. Ich war ein Pfennigfuchser. Das habe ich auch von meinem Vater. Schon seine Mutter hatte es so gemacht. Meine Großmutter hat alle Haushaltsbücher aufgehoben, ich habe sie nach ihrem Tod an mich genommen. Ich war genauso, bis zur Entführung. Noch in der Maschine habe ich gedacht, jetzt ist dein Buch weg. Dein Buch ist im Koffer und wer weiß, wann du wieder an dein Gepäck kommst. Und irgendwann habe ich gesagt, wenn ich hier herauskomme, führe ich kein Buch mehr, so ein Buch zu führen ist doch bescheuert! Natürlich kann man nicht über die eigenen Verhältnisse leben. Aber so wie mein Vater, der nicht eine Mark überziehen konnte, der bei einem Kontostand unter null schlecht geschlafen hat, wollte ich nicht mehr sein. Ich habe seither nicht mehr Buch geführt.
    (Beate Keller, 2011 )
    Mit den Jahren und Jahrzehnten tritt das Ereignis »Entführung« bei den Betroffenen immer mehr in den Hintergrund. In manchen Fällen bleiben Rituale zurück.
    Horst Meijer-Werner untersagte seiner Mutter Cäcilie Meijer-Werner, an den Treffen von Aachen und Damp 2000 teilzunehmen, stattdessen bot er sich selbst als Gesprächspartner an, sollte sie das Gefühl bekommen, über das Ereignis reden zu müssen. Dieses Gefühl habe seine Mutter dann auch regelmäßig einmal pro Jahr bekommen. »Dann haben wir uns einen ganzen Tag zusammengesetzt und sind die Geschichte durchgegangen.« Sie sprach darüber, dass sie schon die flüchtigen Gepäckkontrollen am Flughafen von Palma de Mallorca beunruhigt hatten. Sie empfand Schuld 222 gefühle, weil sie ihre Bedenken auf dem Flughafen nicht geäußert hatte, wodurch womöglich Schlimmeres hätte verhindert werden können. Oder sie stellte sich immer wieder aufs Neue die Frage, wie Menschen solche Verbrechen begehen können.
    Cäcilie Meijer-Werner erlebte die Gespräche mit ihrem Sohn als innere Befreiung. Mit der Zeit staute sich das Bedürfnis zu reden wieder an. »Es war wie ein Kessel, der erhitzt wird, irgendwann pfeift er und muss vom Herd genommen werden. Danach hat er sich langsam wieder erhitzt.«
    Trotz des engen Vertrauensverhältnisses zwischen Mutter und Sohn behielt die Mutter auch manches für sich. Cäcilie Meijer-Werner erzählte ihrem Sohn nicht, wenn sie Radio- oder Fernsehinterviews zu »Mogadischu« gab, vielleicht aus der Furcht heraus, ihr Sohn könnte ihr solche Interviews verbieten wollen.
    Als ein weiteres Beispiel von Ritualen, die in noch engerem Sinne als positive Rituale gelten können, sind auch die schon erwähnten Urlaubsreisen von Diana Müll und ihren Freundinnen zu nennen.
    Bei einigen Betroffenen scheint die schlimme Erfahrung der Vergangenheit in der Erinnerung geradezu ausgelöscht, präsent bleibt nur der glückliche Ausgang, Details der Rettung, des Happy Ends: Die »Landshut«-Geisel Hans Dieter Coldewey im Interview 2007: »Wissen Sie, nach fünf Tagen im Flugzeug, da ist man in keinem so guten Zustand. Ich kann Ihnen deshalb gar nicht viel erzählen«, entschuldigt er sich bei dem Journalisten von transmission , der Branchenzeitschrift der Deutschen Flugsicherung. Er war mit seiner Frau und der Tochter in der Maschine. Dann fällt ihm aber doch ein Detail ein, wie seine Tochter nach der Befreiung in Mogadischu zu ihm gesagt hat: »Papa, der Jacko ist noch drin.« Jacko, das war der Stoffaffe. »Also bin ich über die Tragfläche wieder in die Maschine reingeklettert und habe ihn geholt. Im Flugzeug war noch ein Hund, den habe ich auch mitgebracht.« Die Tochter habe den Jacko noch Jahre später überall mit hingeschleppt, als Talisman.
      223 Eine Hinwendung zu einer zuversichtlichen Haltung ist auch dort zu bemerken, wo die vergangenen Erlebnisse auf die eine oder andere Weise als »Geschichte« innerhalb der eigenen Biographie begriffen werden oder gar als eine Erfahrung, der sich letztlich nicht ausschließlich negative Aspekte für das weitere Leben abgewinnen lassen.
    In früheren Interviews mit dem Österreichischen Fernsehen hatte Hannelore Brauchart gesagt, »Mogadischu« könne sie nicht vergessen, »aber ich kann den Schmerz nicht mehr so empfinden, wie er damals war«. Man könne schon damit fertig werden. »Ich bin ein positiv denkender Mensch.« Sie schaue sich die Filme nicht mehr an, sie sei ja selbst dabei gewesen, antwortet Hannelore Brauchart heute auf die Frage, ob sie einen Spielfilm oder eine Dokumentation über »Mogadischu«, die ja von Zeit zu Zeit wiederholt werden, einschaltet. Die

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