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Die Übermacht - 9

Die Übermacht - 9

Titel: Die Übermacht - 9 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Weber
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glitzerte. Die Einheimischen (einen Ausdruck, den er auf sich selbst wirklich nicht anzuwenden pflegte) nannten die Bucht nur ›North Bay‹, um sie besser von der sogar noch größeren Bédard Bay im Süden zu unterscheiden. So weit nördlich des Äquators, wie man sich hier befand, waren alle Jahreszeiten auf den Kopf gestellt, und selbst der späte Frühling und der Frühsommer waren für Raimahn, der das Wetter von Charis gewohnt war, unangenehm kühl. Die Bäume hier schlugen viel später aus, die Blumen blühten später (und wenn es endlich so weit war, fielen ihre Blüten auch längst nicht so bunt aus), und das Wasser des Ozeans war für einen Burschen aus Charis entschieden zu kalt. Schwimmen zu gehen kam gar nicht infrage. Abgesehen davon vermisste Raimahn die geschäftige Promenade von Tellesberg, die Theater dort, in denen viel kontroversere Stücke aufgeführt wurden, und die viel intellektuellere Atmosphäre der Stadt, die reichlich Anstöße zum Sinnieren bot.
    Natürlich war genau diese intellektuellere Atmosphäre von Tellesberg der Grund, warum er jetzt hier auf der Terrasse seines Großvaters in Siddar-Stadt saß und gierige Wyvern und streitlustige Möwen fütterte. Es war gar nicht wie ...
    »Ach, da steckst du!«, sagte eine vertraute Stimme. Byrk warf einen Blick über die Schulter und erhob sich dann lächelnd, als er die ein wenig untersetzte, äußerst gepflegt wirkende Frau mit dem silbergrauen Haar sah, die gerade hinter seinem Rücken aus der Tür der Villa getreten war.
    »Na ja, versteckt habe ich mich ja nun nicht gerade, Großmutter«, erwiderte er. »Wenn du einfach nur ein Fenster aufgemacht und gelauscht hättest, dann hättest du mich mühelos finden können.«
    Mit einer Hand zog er einen der Sessel ein Stück weit vom Tisch zurück und deutete mit der anderen auf die Gitarre, die in ihrem Koffer auf der Bank neben ihm lag.
    »Und selbst wenn du nur hinausgeschaut hättest, ohne das Fenster zu öffnen, hätten dir all die flüchtenden Vögel und das Kleingetier auffallen müssen, die sich mit den Vorderpfoten die Ohren zugehalten haben und im Gestrüpp verschwunden sind. Auch dann hättest du gleich gewusst, wo ich stecke.«
    »Ach, Unfug, Byrk!« Sie lachte und tätschelte ihm liebevoll die Wange, bevor sie sich in den Sessel sinken ließ, den er für sie zurechtgerückt hatte. »So schlecht spielst du doch auch wieder nicht!«
    »Wie, ›so schlecht‹?«, zog er sie auf und blickte sie mit gewölbter Augenbraue an. »Soll das heißen, es ist fast so schlecht?«
    »Nein, das würde nur dein Großvater behaupten, wenn er jetzt hier wäre«, gab Sahmantha Raimahn zurück. »Und er würde es genauso wenig ernst meinen wie ich. Komm, spiel mir etwas vor, Byrk!«
    »Na gut, wenn du darauf bestehst«, erwiderte er langmütig.
    Sie schnitt eine Grimasse, und er lachte, während er nach der Gitarre griff. Kurz dachte er nach, zupfte währenddessen aufs Geratewohl einige Töne, und spielte dann den ersten Akkord von ›Der Weg des Witwenmachers‹, einer der ersten Balladen, die er zu spielen gelernt hatte. Damals hatte er dabei noch auf Samanthas Schoß gesessen. Der volle Klang der traurigen Akkorde erfüllte die Luft; das Sonnenlicht zauberte kastanienbraune Flecken in sein Haar, das der Wind ein wenig zerzauste. Seufzend fuhr die Brise auch durch die Kronen der Zierobstbäume. Die Blüten blitzten auf, wenn der Wind sie aus dem Schatten ins Licht hob.
    Byrk beugte sich ein wenig vor, die Augen halb geschlossen. Er gab sich ganz der Ballade hin, und seine Großmutter zog sich den Schal aus Stahldistelseide ein wenig enger um die Schultern. Sie wusste, dass Byrk das Musizieren für das Hobby eines viel zu wohlhabenden jungen Mannes hielt. Doch damit täuschte er sich. Es war viel mehr als das. Und als sie ihm beim Spielen zuschaute, verloren ihre eigenen Augen ein wenig ihrer sonstigen Lebendigkeit: Sahmanthas Blick umwölkte sich, als die Klage um Matrosen, die auf See geblieben waren, von den Gitarrensaiten zu springen schien und wie von selbst über die Terrasse tanzte. Es war eine unvergessliche Melodie, ebenso schön wie traurig. Sahmantha Raimahn erinnerte sich noch ganz genau, wie der kleine Byrk darauf bestanden hatten, dass sie ihm beibrachte, wie man sie spielte. Damals war er sieben Jahre alt gewesen.
    Ein Jahr später waren seine Eltern ums Leben gekommen, und plötzlich war Byrk sozusagen Sahmanthas jüngster Sohn, nicht mehr ihr ältester Enkel.
    »Etwas noch

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