Die Unbekannten: Roman (German Edition)
schneller als sonst, und Grady Adams passte sein Tempo dem des Hundes an.
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Am späten Samstagnachmittag führten die Behörden eine Razzia in der illegalen Welpenfabrik durch. Am Samstagabend nahm Rocky Mountain Gold, eine Gruppe zur Rettung von Golden Retrievern, die nur mit Freiwilligen arbeitet, vierundzwanzig Zuchttiere in Gewahrsam. Die Hunde waren verdreckt, unterernährt, mit Zecken und Flöhen übersät und litten an diversen unbehandelten Infektionen.
Dr. Camillia Rivers wurde am Sonntagmorgen um fünf nach fünf vom Läuten ihrer Notrufnummer geweckt. Rebecca Cleary, die Vorsitzende von Rocky Mountain Gold, fragte, wie viele der vierundzwanzig Hunde Cammy für nichts weiter als den Großhandelspreis der benötigten Medikamente unentgeltlich behandeln würde.
Nachdem sie einen Blick auf das Foto ihrer eigenen Golden Hündin Tessa auf dem Nachttisch geworfen hatte, die erst vor sechs Wochen gestorben war, sagte Cammy: »Bringt sie alle her.«
Ihre Praxispartnerin und Kollegin Donna Corbett hatte gerade eine Woche Urlaub. Cory Hern, der erfahrene Veterinärtechniker, war über das Wochenende in Denver, um dort Verwandte zu besuchen. Als sie Ben Aikens, den jüngeren Techniker, anrief, erklärte er sich bereit, seinen Sonntag dem guten Zweck zu opfern.
Um zwanzig nach sechs traf eine Karawane aus Geländewagen
von Rocky Mountain Gold vor der bescheidenen Tierklinik Corbett ein und lieferte vierundzwanzig Golden Retriever ab, die in einem unfassbar schlechten Zustand waren. Jeder dieser Hunde war potenziell ein wunderschönes Tier, doch im Moment sahen sie aus wie die Vorboten von Armageddon.
Da sie ihr ganzes jämmerliches Dasein in beengten Käfigen zugebracht hatten und nicht nur vernachlässigt, sondern auch misshandelt und gezwungen worden waren, ohne tierärztliche Versorgung und bis zur Erschöpfung einen Wurf nach dem anderen auszutragen, waren sie furchtsam, zitterten, übergaben sich vor Angst und fürchteten sich vor jedem, der in ihre Nähe kam. Ihrer Erfahrung nach waren Menschen grausam oder bestenfalls gleichgültig, und sie erwarteten von jedermann Schläge.
Acht Mitglieder der Rettungsgruppe halfen, die Hündinnen zu baden, Fell von Entzündungsherden und wunden Stellen wegzurasieren, Knoten aus dem Fell zu schnippeln, Zecken zu entfernen und bei weiteren Aufgaben, die alle dadurch erschwert wurden, dass man die Tiere ständig beruhigen und ihnen gut zureden musste.
Cammy merkte nicht, wie der Vormittag verstrich, bis sie um Viertel nach zwei auf ihre Armbanduhr sah. Da sie schon das Frühstück ausgelassen hatte, machte sie fünfzehn Minuten Pause und zog sich in ihre Wohnung über der Tierklinik zurück, um einen Happen zu essen.
Lange Zeit hatte Donna Corbett die tierärztliche Praxis gemeinsam mit ihrem Ehemann John geführt, der ebenfalls Veterinärmediziner war. Als John vor vier Jahren
an einem Herzinfarkt gestorben war, hatte Donna aus ihrer großen Wohnung zwei kleinere gemacht und einen Kollegen gesucht, dessen Herz ebenso sehr an Tieren hing wie ihres. Jemand, der bereit war, diese Arbeit so wie sie und John zu seinem Lebensinhalt zu machen.
Für die Corbetts war die Tiermedizin weniger ein Beruf, sondern eher eine Berufung, und daher brauchte sich Cammy auch nicht mit ihrer Kollegin zu beraten, bevor sie einwilligte, die Hündinnen aus der Zuchtfabrik kostenlos zu behandeln.
Nachdem sie sich schnell ein Käsebrot gemacht hatte, öffnete sie noch eine Flasche kalten Eistee mit Pfirsichgeschmack. Sie nahm ihr Mittagessen stehend am Spülbecken ein.
Während sie mit den Leuten von Rocky Mountain Gold gearbeitet hatte, waren zwei Anrufe eingegangen. Bei einem ging es um eine kranke Kuh. Sie verwies den Anrufer an Dr. Amos Renfrew, den besten Kuhdoktor der Gegend.
Die zweite Anfrage kam von Nash Franklin und drehte sich um ein Pferd auf der High Meadows Farm. Da es nicht dringend war, würde Cammy Nash am späteren Nachmittag einen Besuch abstatten.
Sie hatte das Käsebrot fast aufgegessen, als Ben Aikens, ihr Veterinärtechniker, sie von unten anrief. »Cammy, das musst du dir ansehen.«
»Was ist denn?«
»Diese Hunde. So etwas habe ich noch nie gesehen.«
»Ich bin gleich da.« Sie stopfte sich den letzten Bissen Brot in den Mund und rannte noch kauend los.
Zuchttiere aus Welpenfabriken waren in der Regel durch die Misshandlung, die sie erfahren hatten, körperlich und seelisch derart traumatisiert, dass die neuartigen Erfahrungen der Freiheit – genug Auslauf,
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